Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Die heiße Dusche regnete wie Balsam auf mich nieder. Ich wusch mir mit dem billigen Motelshampoo die Haare und schrubbte wütend an mir herum, wollte mit der Seife die Schändungen der Nacht abwaschen. Ich hatte blaue Flecken und Kratzer an den Beinen, den Brüsten, der Hüfte; mein linkes Handgelenk und die Hand waren dick geschollen. Meine Scheide, mein Anus, alles brannte, und ein Rinnsal Blut lief mir die Beine hinunter; ich steckte mir eine Einlage aus Klopapier in die Unterhose und zog mich an. Fedgewick warf zwei Tabletten ein und spülte sie mit einer halben Flasche Bier hinunter, der letzten, dann bot er mir den Rest aus der Flasche an und ebenfalls zwei Tabletten. »Nimm, ist Aspirin, hilft gegen den Kater. Heute Abend sind wir in Las Vegas. Du bleibst besser bei mir, Mädchen, die Fahrt hast du ja schon bezahlt«, sagte er. Er nahm seinen Beutel, sah nach, dass er nichts vergessen hatte, und verließ das Zimmer. Ich ging kraftlos hinter ihm her zum Truck. Es wurde gerade erst hell.
Kurze Zeit später hielten wir an einer Raststätte, vor der schon andere schwere Lastwagen und ein Trailer standen. Drinnen erwachte beim Geruch von Schinken und Kaffee mein Hunger, ich hatte außer zwei Energieriegeln und einer Handvoll Kartoffelchips seit über zwanzig Stunden nichts gegessen. Fedgewick war die Leutseligkeit in Person, verteilte Scherze an die Gäste, die er offenbar kannte, und Küsschen an die Kellnerin und begrüßte in gekautem Spanisch die beiden Guatemalteken, die in der Küche standen. Er bestellte Orangensaft, Eier, Würstchen, Pancakes, Toast und Kaffee für zwei, während ich den Blick auf den Linoleumboden heftete, auf die Deckenventilatoren, die Berge von süßen Teilchen unter den Glashauben auf dem Tresen.Als das Essen kam, nahm Fedgewick über den Tisch hinweg meine beiden Hände in seine, senkte theatralisch den Kopf und schloss die Augen. »Danke, o Herr, für dieses kräftige Frühstück und den wundervollen Tag. Dein Segen sei mit uns, o Herr, und beschütze uns auf dem Rest der Reise. Amen.« Ich sah ohne Hoffnung zu den essenden Männern an den Nachbartischen, zu der müde wirkenden Frau mit den gefärbten Haaren, die Kaffee nachschenkte, zu den steinalten Indios, die in der Küche Eier und Speck brieten. Keiner dabei, an den ich mich wenden konnte. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich getrampt war und der Fahrer sich den Gefallen in einem Motel hatte bezahlen lassen, dass ich eine Idiotin war und es nicht besser verdient hatte. Ich senkte den Kopf wie Fedgewick und betete still: »Lass mich nicht los, Pop, pass auf mich auf.« Danach aß ich mein Frühstück bis auf den letzten Krümel.
Weil es so fern der Vereinigten Staaten und so nah an nichts liegt, führen die großen Drogenhandelsrouten nicht durch Chile, aber Drogen gibt es hier trotzdem wie überall auf der Welt. Manchmal sieht man junge Leute, die schon jenseits sind; einer stand auf der Fähre, als ich über den Kanal von Chacao nach Chiloé fuhr, wusste nicht, wohin mit sich, war bereits in der Phase der unsichtbaren Wesen, hörte Stimmen, führte Selbstgespräche, gestikulierte. Marihuana kann man hier überall kriegen, es ist verbreiteter und billiger als Zigaretten und an jeder Ecke zu haben; Freebase oder Crack findet man eher unter ärmeren Leuten, die auch Benzin, Klebstoff, Lösungsmittel und anderen Dreck schnüffeln; wer genug Geld hat, kann alle möglichen Halluzinogene probieren, Kokain, Heroin und verschiedene Derivate, Amphetamine und was der Schwarzmarkt an Pharmazeutika hergibt, aber bei uns auf der Insel ist die Auswahl begrenzt, es gibt bloß Alkohol für jeden, der will, und Marihuana und Freebase für die Jugendlichen. »Du musstbei den Kindern gut aufpassen, Gringuita, keine Drogen in der Schule«, sagte Blanca und erklärte mir auch gleich, wie ich die Symptome bei den Schülern erkennen kann. Sie weiß nicht, dass ich Expertin bin.
Wir standen während der Pause zusammen, als Blanca mir erzählte, dass Azucena Corrales nicht zum Unterricht gekommen war und sie fürchtete, sie werde die Schule womöglich abbrechen wie ihre älteren Geschwister, von denen keiner einen Abschluss gemacht hat. Die Mutter von Juanito kennt sie nicht, weil die bereits fort war, als Blanca auf die Insel kam, aber sie muss eine blitzgescheite Schülerin gewesen sein, wurde mit fünfzehn schwanger, ging nach der Geburt fort und kam nie mehr wieder. Heute lebt sie in Quellón, im Süden der Isla Grande, wo es die meisten
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