Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
auf ihn.
»Ist was?«, fragte er verwundert.
»Ja, dass ich dich lieb habe.«
»Keine Küsse, Señorita. Etwas mehr Respekt bitte vor einem alten Mann«, brummelte er.
Nach dem üppigen Frühstück mit Roy Fedgewick fuhr ich den ganzen Tag mit ihm im Truck, hörte mit halbem Ohr die Country-Musik und die evangelikalen Predigten aus dem Radio und Fedgewicks endlosen Monolog, döste aber immer wieder ein wegen meines Drogenkaters und dem Grauen der vergangenen Nacht. Zwei oder drei Mal hätte ich abhauen können, er hätte mich nicht zurückgehalten, hatte das Interesse an mir verloren, aber mir fehlte die Kraft dazu, meine Beine waren schlaff, meine Gedanken wirr. Wir hielten an einer Tankstelle, und während er Zigaretten kaufte, ging ich auf die Toilette. Ich hatte Schmerzen beim Wasserlassen, und es blutete noch immer ein bisschen. Ich dachte daran, in der Toilette zu bleiben, bis Fedgewick verschwunden wäre, war aber so müde und fürchtete, womöglich einem anderen Widerling in die Hände zu fallen, deshalb verwarf ich den Gedanken. Mit hängendem Kopf trottete ich zum Truck zurück, drückte mich in meine Eckeund schloss die Augen. Am Abend, als ich mich etwas besser fühlte, erreichten wir Las Vegas.
Fedgewick setzte mich mitten auf dem Boulevard ab, auf dem Strip im Herzen von Las Vegas, und gab mir zehn Dollar Trinkgeld, weil ich ihn an seine Tochter erinnerte, wie er mir versicherte, wobei er mir zum Beweis sein Handy mit dem Foto eines etwa fünfjährigen blonden Mädchens unter die Nase hielt. Zum Abschied strich er mir mit einem »Gott segne dich, Liebes« über den Kopf. Da wurde mir klar, dass er nichts befürchtete und reinen Gewissens weiterfuhr; hinter ihm lag eine von vielen Begegnungen, auf die er mit Pistole, Handschellen, Alkohol und K.o.-Tropfen vorbereitet war; er würde mich im Handumdrehen vergessen haben. Irgendwann während seines Monologs war er darauf gekommen, dass an den Highways immer Dutzende halbwüchsige Ausreißer unterwegs waren, Jungen wie Mädchen, die sich den Fernfahrern anboten; eine eigene Welt der Kinderprostitution. Zu seinen Gunsten lässt sich einzig sagen, dass er Vorkehrungen traf, damit er sich bei mir nichts holte. Ich möchte lieber nicht genau wissen, was in der Nacht im Motel geschah, aber ich erinnere mich, dass am Morgen benutzte Kondome auf dem Boden lagen. Ich hatte Glück, er hat mich mit Gummi vergewaltigt.
Um diese Uhrzeit war die Luft in Las Vegas schon kühler, doch der Asphalt strahlte weiter die Hitze der vorangegangenen Stunden ab. Mit Schmerzen am ganzen Leib und überfordert von dem grellen Lichtspektakel dieser Stadt, die als unwirkliches Hexenwerk aus dem Staub der Wüste ragt, setzte ich mich auf eine Bank. In den Straßen war der Teufel los, Autos, Busse, Limousinen, Musik, Massen von Leuten: alte Herrschaften in Shorts und Hawaiihemden, reife Frauen mit Cowboyhüten, paillettenbestickten Bluejeans und chemisch gebräuntem Teint, einfache und ärmliche Touristen, viele Fettleibige. Ich war weiter fest entschlossen, meinen Vater zu bestrafen, und machte ihn für all meinUnglück verantwortlich, aber ich wollte meine Großmutter anrufen. In unserem Handyzeitalter sind Telefonzellen ein rares Gut. Als ich endlich eine funktionstüchtige gefunden hatte, wollte oder konnte die Vermittlung kein R-Gespräch für mich anmelden.
Um den Zehndollarschein in Münzen zu wechseln, ging ich in eins der Hotelcasinos, eine dieser weitläufigen Luxusanlagen mit aus der Karibik verpflanzten Palmen, ausbrechenden Vulkanen, Feuerwerk, grellbunten Wasserfällen und Stränden ohne Meer. Protzerei und Vulgarität konzentrieren sich in Las Vegas auf wenige Straßen, dort drängen sich neben den Casinos auch die Bordelle, Bars, Kaschemmen, zwielichtige Massagesalons und Pornokinos. An einem Ende vom Strip kann man in sieben Minuten in einer Kapelle mit blinkenden Herzen heiraten, am anderen Ende ist man in der gleichen Zeit wieder geschieden. So sollte ich die Stadt Monate später meiner Großmutter beschreiben, aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn in Las Vegas gibt es Reichenviertel mit umzäunten Villen, Mittelklasse-Vororte, in denen Mütter ihre Kinder durch den Park schieben, abgewrackte Gegenden voller Penner und Gangs, es gibt Schulen, Kirchen, Museen und Grünanlagen, die ich nur von weitem sah, denn mein Leben spielte sich nachts ab. Ich rief in dem Haus an, das einmal meinem Vater und Susan gehört hatte und in dem meine Nini jetzt allein lebte.
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