Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Handy geben, aber der Akku ist leer«, sagte er.
»Danke, aber ich kann sowieso erst morgen anrufen. Heute ist sie nicht zu Hause.«
Im McDonald’s waren wenig Gäste und drei Angestellte, eine junge Schwarze mit künstlichen Fingernägeln und zwei Latinos, davon einer mit der Jungfrau von Guadelupe auf dem T-Shirt. Der Fettgeruch befeuerte meinen Appetit, und kurz darauf gaben mir ein doppelter Hamburger und eine Portion Pommes etwas Selbstvertrauen zurück, neue Kraft in den Beinen und einen etwas klareren Kopf. Jetzt schien es mir nicht mehr so eilig, meine Nini anzurufen.
»Las Vegas sieht aus, als würde richtig was geboten«, sagte ich mit vollem Mund.
»Stadt der Sünde, sagen die Leute. Wie heißt du eigentlich?«, fragte Leeman, der sein Essen nicht anrührte.
»Sarah Laredo«, behauptete ich, weil ich einem Fremden meinen Namen nicht sagen wollte.
»Was ist mit deiner Hand passiert?« Er deutete auf mein geschwollenes Gelenk.
»Bin hingefallen.«
»Erzähl mir von dir, Sarah. Du bist doch nicht von zu Hause abgehauen?«
»Natürlich nicht!« Ich verschluckte mich an meinen Pommes. »Ich bin mit der Highschool fertig und wollte Las Vegas sehen, bevor das College anfängt, aber mein Geldbeutel ist weg, deshalb muss ich meine Großmutter anrufen.«
»Verstehe. Wo du schon mal hier bist, solltest du dir Las Vegas trotzdem ansehen, es ist wie Disneyworld für Erwachsene. Wusstest du, dass es die am schnellsten wachsende Stadt in den Staaten ist? Alle wollen hierherziehen. Du solltest deine Pläne nicht wegen so einer Lappalie ändern, bleib ein bisschen. Hör zu, Sarah, solange das Geld von deiner Großmutter nicht da ist, kann ich dir was vorstrecken.«
»Warum? Du kennst mich doch gar nicht«, sagte ich, hellhörig geworden.
»Weil ich echt nett bin. Wie alt bist du?«
»Ich werde bald neunzehn.«
»Du siehst jünger aus.«
»Offensichtlich.«
In diesem Moment betraten zwei Polizisten das McDonald’s, ein junger Kraftprotz, der, obwohl es schon dunkel war, eine schwarze, verspiegelte Sonnenbrille trug und aussah, als wollte er mit seinen Muskelpaketen die Uniform sprengen, und einer um die fünfundvierzig, der ziemlich durchschnittlich wirkte. Während der junge die Bestellung bei dem Mädchen mit den künstlichen Nägeln aufgab, trat der andere zu Brandon Leeman an den Tisch, und der stellte uns vor: sein Freund, Officer Arana, und ich, seine Nichte aus Arizona, für ein paar Tage zu Besuch in der Stadt. Der Polizist hatte ein offenes Gesicht, war von der Wüstensonne braungebrannt wie Backstein und lächelte herzlich, während seine hellen Augen mich fragend musterten. »Pass gut auf deine Nichte auf, Leeman. In dieser Stadt kommt ein anständiges Mädchen schnell unter die Räder«, sagte er und setzte sich ein paar Tische weiter zu seinem Kollegen.
»Wenn du willst, kannst du den Sommer über für mich arbeiten, bis das College im September anfängt«, bot Brandon Leeman mir an.
Etwas sagte mir, dass es bei so viel Großzügigkeit einen Haken geben musste, aber ich hatte die Nacht vor mir und war nicht gezwungen, diesem halben Hemd sofort zu antworten. Wahrscheinlich war er ein von seiner Sucht geheilter Alkoholiker, der seine Lebensaufgabe darin sah, Seelen zu retten, ein zweiter Mike O’Kelly, wenn auch ohne dessenAusstrahlung. Mal sehen, was sich ergibt, dachte ich. Ich ging auf die Toilette, wusch mich ein bisschen, stellte fest, dass ich nicht mehr blutete, zog die sauberen Sachen aus meinem Rucksack an, putzte mir die Zähne, und war dann erfrischt und bereit, mit meinem neuen Freund Las Vegas zu erkunden.
Als ich aus der Toilette kam, sah ich, wie Brandon Leeman in sein Handy sprach. Hatte er nicht behauptet, der Akku sei leer? Auch egal. Wahrscheinlich hatte ich mich verhört. Wir gingen zu Fuß zu seinem Auto, an dem zwei wenig vertrauenerweckende Typen lehnten. »Joe Martin und der Chinese, meine Partner«, stellte Leeman sie vor. Der Chinese setzte sich ans Steuer, der andere auf den Beifahrersitz, Leeman und ich nahmen die Rückbank. Je weiter wir fuhren, desto mulmiger wurde mir. Was ich sah, gefiel mir immer weniger, leerstehende oder übel heruntergekommene Gebäude, Müll, Gruppen von Jugendlichen, die in den Hauseingängen abhingen, zwei Penner in versifften Schlafsäcken neben ihren Karren voller Tüten mit Plunder.
»Keine Bange, bei mir bist du sicher, hier kennen mich alle«, beschwichtigte Leeman, der erraten haben musste, dass ich drauf und dran war, das Weite
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