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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Lachsfarmen gab, ehe das Virus die Fische tötete. Zu Zeiten des Lachs-Booms war Quellón eine Art Far West, Land der Abenteurer und einzelgängerischen Männer, die das Gesetz in die eigenen Hände nahmen, und der Frauen mit lockeren Moralvorstellungen und gutem Geschäftssinn, die in einer Woche so viel verdienen konnten wie ein Arbeiter in einem Jahr. Die gefragtesten Frauen kamen aus Kolumbien, wurden von der Presse als wandernde Sexarbeiterinnen tituliert und von ihren dankbaren Kunden als schwarze Heldinnen der Hintern.
    »Azucena ist immer eine gute Schülerin gewesen wie ihre Schwester, und plötzlich wird sie so abweisend und geht den Leuten aus dem Weg. Ich habe keine Ahnung, was mit ihr los ist«, sagte Blanca.
    »Sie war auch schon lange nicht mehr bei uns zum Putzen. Das letzte Mal habe ich sie in dieser Sturmnacht gesehen, als sie Manuel holen kam, weil es ihrem Vater so schlecht ging.«
    »Manuel hat es mir erzählt. Der Mann hatte einen Zuckerschock, was bei Alkoholikern mit Diabetes nicht selten ist, trotzdem war es eine gewagte Entscheidung, ihm Honigzu geben; das hätte ihn umbringen können. Denk nur, was für eine Verantwortung!«
    »Er war sowieso schon halb tot, Tía Blanca. Manuel ist bewundernswert kaltblütig. Ist dir schon mal aufgefallen, dass er sich nie aufregt oder es eilig hat?«
    »Das liegt an der Blase in seinem Gehirn.«
    Weil vor einem Jahrzehnt bei Manuel nämlich ein Aneurysma festgestellt wurde, das jeden Moment platzen kann. Und ich erfahre erst jetzt davon! Blanca sagt, Manuel sei nach Chiloé gekommen, um in dieser großartigen Landschaft sein Leben auszukosten und ruhig und in Frieden zu tun, was er liebt, zu schreiben und zu forschen.
    »Dieses Aneurysma kommt einem Todesurteil gleich, es hat ihn gelassen gemacht, aber nicht gleichgültig. Manuel nutzt seine Zeit gut, Gringuita. Er lebt im Hier und Jetzt, Stunde für Stunde, und er ist mit dem Gedanken ans Sterben viel eher versöhnt als ich, obwohl ich ja auch eine Zeitbombe in mir trage. Andere meditieren jahrelang im Kloster und erreichen nicht den Frieden, den Manuel gefunden hat.«
    »Du glaubst also auch, er ist wie Siddhartha.«
    »Wie wer?«
    »Ach, niemand.«
    Wahrscheinlich hat Manuel nie eine große Liebe erlebt wie die zwischen meinen Großeltern, deshalb begnügt er sich mit seinem Dasein als einsamer Wolf. Die Blase in seinem Kopf ist ein willkommener Vorwand, um die Liebe zu meiden. Hat er vielleicht keine Augen für Blanca? Jesses!, würde Eduvigis sagen, man könnte meinen, ich wollte ihn mit Blanca verkuppeln. Diese törichte Gefühligkeit kommt von den Schnulzenromanen, die ich in letzter Zeit lese. Ich lande aber zwangsläufig immer bei der Frage, was Manuel dazu bewogen hat, eine wie mich bei sich aufzunehmen, eine Unbekannte aus einer anderen Welt, von fragwürdigem Lebenswandel und obendrein auf der Flucht; wie kann seine Freundschaft zu meiner Nini, die er seit Jahrzehnten nicht gesehen hat, schwerer wiegen als seine lebensnotwendige Ruhe.
    »Manuel war besorgt über dein Kommen«, sagte Blanca, als ich sie danach fragte. »Er dachte, du würdest sein Leben durcheinanderbringen, konnte deiner Großmutter die Bitte aber nicht abschlagen, weil ihm bei seiner Verbannung 1975 auch jemand Schutz gewährt hatte.«
    »Dein Vater.«
    »Ja. Damals war es riskant, den Verfolgten der Diktatur zu helfen, mein Vater wurde davor gewarnt, Verwandte und Freunde brachen mit ihm, selbst meine Brüder waren sauer deswegen. Lionel Schnake gewährt einem Kommunisten Unterschlupf! Aber er sagte, wenn man in diesem Land seinem Nächsten nicht mehr helfen dürfe, dann gehe man besser fort. Mein Vater hielt sich für unverwundbar, sagte, das Militär werde es nicht wagen, ihn anzurühren. Die Überheblichkeit seiner sozialen Schicht half ihm in diesem Fall, das Gute zu tun.«
    »Und jetzt entschädigt Manuel Don Lionel dadurch, dass er mir hilft. Ein chilotisches Tauschgeschäft über Bande.«
    »Genau.«
    »Manuels Befürchtungen waren ja nur zu berechtigt. Ich bin wie ein wilder Stier durch seinen Porzellanladen getobt, ich …«
    »Aber das hat ihm sehr gutgetan!«, unterbrach sie mich. »Mir scheint, er hat sich verändert, er ist lockerer geworden.«
    »Lockerer? Er ist zugeschnürter als ein Seemannsknoten. Ich glaube, er hat eine Depression.«
    »Das ist seine Art, Gringuita. Ein Clown war er nie.«
    Ich merkte an Blancas Tonfall und ihrem versonnenen Blick, wie gern sie ihn hat. Sie erzählte mir, Manuel sei damals,

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