McCreadys Doppelspiel
hatten, daß er nicht betrogen wurde.
Es gab Gerüchte, daß er für westliche Nachrichtendienste arbeite. Sie waren unzutreffend, wenn er auch gelegentlich im Auftrag und gegen Honorar für die CIA oder den SIS Personen herausholte. Es gab Gerüchte, er pflege vertraulichen Umgang mit dem SSD oder dem KGB. Das war unwahrscheinlich, denn er fügte der DDR zuviel Schaden zu. Aber sicher hatte er mehr Grenzpolizisten und kommunistische Bonzen bestochen, als er sich erinnern konnte. Es hieß von ihm, er rieche einen bestechlichen Beamten des Regimes schon auf hundert Schritte.
Berlin war zwar sein Betätigungsfeld, aber er hatte auch Fluchtwege über die DDR-BRD-Grenze organisiert, die sich von der Ostsee bis zur Tschechoslowakei erstreckte. Als er sich schließlich mit einem ansehnlichen Vermögen zur Ruhe setzte, beschloß er, sich nicht in West-Berlin, sondern in der Bundesrepublik niederzulassen. Aber er kam auch jetzt noch nicht von der Grenze los. Seine hochgelegene Villa im Harz war nur acht Kilometer davon entfernt.
»So, Herr McCready, mein lieber Freund Sam, wir haben uns lange nicht gesehen.«
Er stand mit dem Rücken zum Kamin, ein wohlhabender Pensionär in einer samtenen Hausjacke, der einen langen Weg zurückgelegt hatte, seit er 1945 als ein luchsäugiger Straßenjunge aus den Bombentrümmern gekrochen war und damit begonnen hatte, Mädchen gegen Lucky Strikes an GIs zu verkaufen.
»Sie sind auch im Ruhestand, Sam?«
»Nein, Andre, ich muß noch immer mein Brot verdienen. Ich bin eben nicht so schlau wie Sie.«
Das gefiel Kurzlinger. Er drückte auf eine Klingel, und ein Diener brachte einen spritzigen Mosel in Kristallgläsern.
Kurzlinger betrachtete durch sein Weinglas die Flammen im Kamin. »Und«, sagte er, »was kann ein alter Mann für den mächtigen Geheimdienst Ihrer Majestät tun?«
McCready erklärte es ihm. Kurzlinger starrte noch immer ins Feuer, aber er schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf.
»Ich bin ausgestiegen, Sam. Im Ruhestand. Jetzt lassen sie mich in Frieden. Beide Seiten. Aber sie haben mich gewarnt. Wenn ich wieder anfange, kommen sie mich holen. Eine Blitzoperation: über die Grenze und vor Tagesanbruch zurück. Sie meinen es ernst. Ich habe ihnen ja zu meiner Zeit allerhand Schaden zugefügt.«
»Ich weiß«, sagte McCready.
»Und dann ändern sich auch die Zeiten. Früher, in Berlin, da hätte ich Sie hinüberbringen können. Selbst auf dem Land hatte ich meine Schleichwege. Aber sie wurden alle irgendwann entdeckt und blockiert. Die Minen, die ich unschädlich gemacht hatte, wurden ersetzt. Die Grenzpolizisten, die ich bestochen hatte, wurden versetzt. Meine Kontakte sind alle abgerissen. Es ist zu spät.«
»Ich muß hinüber«, sagte McCready langsam, »weil wir einen Mann drüben haben. Es geht ihm schlecht, sehr schlecht. Aber wenn ich ihn herausbringe, wird das wahrscheinlich dem jetzigen Chef der Abteilung II, diesem Otto Voß, die Karriere ruinieren.«
Kurzlinger machte keine Bewegung, aber in seine Augen trat ein kalter Ausdruck. Jahre vorher hatte er, wie McCready wußte, einen sehr guten Freund gehabt. Einen wirklich engen Freund, wohl den besten Freund in seinem ganzen Leben. Der Mann war gefaßt worden, als er die Mauer überwinden wollte. Später hieß es, er habe die Hände gehoben. Aber Voß hatte ihn trotzdem erschossen. Erst hatte er ihn in beide Kniescheiben, dann in beide Ellbogen und beide Schultern und zuletzt in den Bauch geschossen. Mit Weichgeschossen.
»Kommen Sie«, sagte Kurzlinger. »Wir essen jetzt was. Ich werde Sie mit meinem Sohn bekannt machen.«
Der gutaussehende blonde junge Mann, ungefähr dreißig, der sich zu ihnen an den Tisch setzte, war natürlich nicht Kurzlingers Sohn. Kurzlinger hatte ihn adoptiert. Der Ältere lächelte hin und wieder den Jüngeren an, und der Adoptivsohn erwiderte bewundernd den Blick.
»Ich habe Siegfried aus der DDR herübergebracht«, sagte Kurzlinger. »Er wußte nicht, wohin, und so. wohnt er jetzt eben bei mir.«
McCready aß weiter. Er vermutete, daß mehr dahintersteckte.
Als die Trauben aufgetragen waren, sagte Kurzlinger: »Haben Sie schon einmal von der Arbeitsgruppe Grenzen gehört?«
McCready hatte schon davon gehört. Innerhalb des Staatssicherheitsdienstes gab es, gesondert von den Abteilungen mit ihren Bezeichnungen in römischen Ziffern, eine kleine Einheit mit einem bizarren Betätigungsfeld.
Wenn Markus Wolf einen Agenten in den Westen schleusen wollte, konnte er das
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