McCreadys Doppelspiel
ranghöchsten Russen bat, ihn in sein Büro zu begleiten.
Als der russische General zurückkam, war er bleich vor Zorn und verlangte, auf der Stelle mit einem Dienstwagen in seine Botschaft in London gebracht zu werden. Die Neuigkeit sprach sich unter den übrigen fünfzehn Russen herum, die daraufhin eisig und abweisend wurden. Es war zehn Uhr. Die Telefonaktion begann.
Der britische General alarmierte den Stabschef in London und gab ihm einen vollständigen Lagebericht. Einen weiteren Lagebericht schickte der ranghöchste Aufpasser an seine Vorgesetzten in der Zentrale des Security Service in der Curzon Street in London. Diese gaben die Meldung direkt an den Stellvertretenden Generaldirektor weiter, dem sofort der Verdacht kam, daß die TSAR die Hand im Spiel hätten. Mit dieser liebevollen Abkürzung bezeichnet der Security Service manchmal den SIS. Sie bedeutet: »Those Shits Across the River« (Diese Scheißer auf der anderen Seite des Flusses).
Im Century House südlich der Themse bekam der Stellvertretende Chef Timothy Edwards einen Anruf aus der Curzon Street, konnte aber reinen Gewissens behaupten, der SIS habe nicht das geringste mit der Sache zu tun. Er legte den Hörer auf, drückte einen Knopf auf seinem Schreibtisch und schnarrte:
»Sagen Sie bitte Sam McCready, er soll auf der Stelle hier antanzen!«
Gegen Mittag konferierten der russische General und der GRU-Oberst in der sowjetischen Botschaft in Kensington Palace Gardens hinter verschlossenen Türen mit dem sowjetischen Verteidigungs-Attache, der als Generalmajor der Infanterie geführt wurde, tatsächlich aber diesen Rang im GRU bekleidete. Keiner der drei wußte, daß Major Kutschenko in Wirklichkeit Oberst Orlow vom KGB war - ein Geheimnis, in das nur wenige ranghohe Offiziere im >Gemeinsamen Planungsstab< in Moskau eingeweiht waren. Tatsächlich wären alle drei zutiefst erleichtert gewesen, wenn sie das gewußt hätten; kaum etwas bereitet einem Angehörigen der russischen Streitkräfte so viel Vergnügen wie eine peinliche Panne beim KGB. Man glaubte in London, man habe einen GRU-Major verloren, und sah mit äußerst gemischten Gefühlen der Reaktion Moskaus entgegen.
In Cheltenham stellte man im Regierungsfernmeldezentrum (GCHQ), dem Horchposten der Nation, plötzlich eine hektische Zunahme des Funkverkehrs zwischen der sowjetischen Botschaft und Moskau sowohl im diplomatischen als auch im militärischen Code fest und unterrichtete die zuständigen Stellen entsprechend.
In der Mittagsstunde trug der sowjetische Botschafter, Leonid Samjatin, im Foreign Office, dem britischen Außenministerium, einen geharnischten Protest vor; er sprach von Entführung und verlangte, auf der Stelle mit Major Kutschenko zusammengebracht zu werden. Der Protest wurde vom Foreign Office umgehend an sämtliche Geheimdienste weitergegeben, die in seltener Einmütigkeit ihre Hände in Unschuld wuschen und beteuerten: Aber wir haben ihn nicht.
Schon lange vor Mittag war die Ratlosigkeit der Briten genauso grenzenlos wie die Wut der Russen. Die Art, wie Kutschenko (wie man in immer noch nannte) sich abgesetzt hatte, war gelinde gesagt bizarr. Überläufer liefen nicht einfach über, um in irgendeiner Kneipe ein Glas Bier zu trinken; sie flüchteten sich an einen sicheren Ort, der im allgemeinen schon vorbereitet war. Wenn Kutschenko sich in eine Polizeiwache geflüchtet hatte (was schon vorgekommen war), hätte die Polizei von Wiltshire unverzüglich London benachrichtigt. Und da alle britischen Geheimdienste ihre Unschuld beteuerten, blieb nur noch die Möglichkeit, daß ausländische Dienste auf britischem Boden tätig geworden waren.
Bill Carver, der Stationschef der CIA in London, saß in der Klemme. Roth war auf dem Luftwaffenstützpunkt gezwungen worden, sich in Langley die Genehmigung für den Flug mit der amerikanischen Militärmaschine zu beschaffen, und Langley hatte Carver informiert. Der Amerikaner wußte, was das anglo-amerikanische Abkommen für solche Fälle vorsah - die Briten würden äußerst empfindlich darauf reagieren, daß die Amerikaner hinter ihrem Rücken einen Russen aus England herausschmuggelten. Carver hatte jedoch Anweisung bekommen, so lange nichts zu unternehmen, bis das amerikanische Transportflugzeug den britischen Luftraum verlassen hatte. Er zog sich aus der Affäre, indem er sich den ganzen Vormittag verleugnen ließ und dann um drei Uhr nachmittags dringend um eine Unterredung mit Timothy Edwards vom SIS nachsuchte, die ihm
Weitere Kostenlose Bücher