McCreadys Doppelspiel
einsetzen, die sich das Orlow-Material ansieht, wenn es uns erreicht. Ich möchte, daß Sie die Gruppe leiten - in meinem Auftrag.«
»Ich danke Ihnen«, sagte der »Täuscher«. »Aber ich würde noch weiter gehen. Ich würde direkten Zugang zu dem Überläufer verlangen. Es könnte sein, daß Orlow Dinge weiß, die für uns besonders interessant sind - und nur für uns. Diese Dinge werden in Langley nicht gerade höchste Priorität haben. Ich hätte gern Zugang, persönlichen Zugang.«
»Das kann schwierig werden«, überlegte Edwards. »Wahrscheinlich haben Sie ihn irgendwo in Virginia versteckt.
Aber fragen kostet nichts.«
»Es ist unser gutes Recht«, beharrte McCready. »Schließlich haben sie in letzter Zeit verdammt viel Material von uns bekommen.«
Der Gedanke stand im Raum. Sie wußten beide, woher in den letzten vier Jahren das meiste Material gekommen war. Man brauchte nur an den sowjetischen Aufmarschplan zu denken, den sie im Jahr zuvor der CIA übergeben hatten.
»Ach, übrigens«, sagte Sam, »ich würde Orlow gern überprüfen. Mit Keepsake.«
Edwards sah McCready mit festem Blick an. Keepsake war ein Juwel des SIS, ein Russe, der für die Briten arbeitete, aber so hochgestellt und deshalb so >sensibel< war, daß nur vier Männer im Century House wußten, wer er war, und nicht einmal ein Dutzend überhaupt über seine Existenz im Bilde waren. Diejenigen, die über seine Identität Bescheid wußten, waren der Chef selbst, Edwards, der Controller für den Ostblock und sein Führungsoffizier McCready, der Mann, der ihn >leitete<.
»Halten Sie das für klug?« wollte Edwards wissen.
»Ich glaube, es ist gerechtfertigt.«
»Seien Sie vorsichtig.«
Der schwarze Wagen, der am nächsten Vormittag in der Londoner City geparkt war, stand so eindeutig im absoluten Halteverbot, daß der Verkehrspolizist keinen Augenblick zögerte, einen Strafzettel auszuschreiben. Er war gerade fertig geworden und klemmte die Plastikhülle unter den Scheibenwischer, als ein schlanker, eleganter Mann in grauem Anzug aus einem Geschäft ganz in der Nähe kam, den Strafzettel sah und sofort protestierte. Es war eine so alltägliche Szene, daß kein Mensch Notiz davon nahm.
Ein zufälliger Beobachter hätte aus einigem Abstand die normalen ärgerlichen Gesten des Fahrers und das gleichgültige Achselzucken des Verkehrspolizisten wahrgenommen. Der Fahrer zupfte den Verkehrspolizisten am Ärmel, um ihn zu bewegen, ans Heck des Wagens zu kommen und sich die Schilder anzusehen. Der Polizist tat ihm den Gefallen und sah das wohlbekannte CD-Schild des Diplomatischen Corps neben dem Nummernschild. Es war ihm offenbar entgangen, aber er zeigte sich trotzdem unbeeindruckt. Ihre Immunität mochte ausländische Diplomaten vor dem Bußgeld schützen, nicht aber vor dem Strafzettel. Er wandte sich zum Gehen.
Der Fahrer riß den Strafzettel unter dem Scheibenwischer hervor und hielt ihn dem Verkehrspolizisten protestierend hin. Dieser fragte ihn etwas. Um zu beweisen, daß er wirklich Diplomat war, griff der Fahrer in seine Jackentasche, brachte einen Ausweis zum Vorschein und hielt ihn dem Ordnungshüter unter die Nase. Dieser sah ihn sich an, zuckte noch einmal die Achseln und entfernte sich. Erbost zerknüllte der Fahrer den Strafzettel und warf ihn durch das offene Fenster auf der Fahrerseite ins Auto, bevor er einstieg und davonfuhr.
Was der Beobachter nicht gesehen hatte, war der Zettel in dem Ausweis, auf dem stand: Lesesaal, Britisches Museum, morgen, 14 Uhr. Und er hatte auch nicht sehen können, daß der Fahrer nach einer Meile den zerknitterten Strafzettel glättete und las, was auf der Rückseite stand: Oberst Pjotr Alexandrowitsch Orlow ist zu den Amerikanern übergelaufen. Wissen Sie irgend etwas über ihn?
Der >Täuscher< hatte soeben Kontakt mit Keepsake aufgenommen.
2
Wie man einen Überläufer behandelt oder mit ihm verfährt, hängt vom Einzelfall ab und kann sehr unterschiedlich sein, je nach dem Gemütszustand des Überläufers und den Usancen des Geheimdienstes, der ihn befragt. Die einzige Gemeinsamkeit ist, daß es sich immer um ein heikles und langwieriges Verfahren handelt.
Der Überläufer muß zunächst in einer Umgebung untergebracht werden, die einerseits nicht bedrohlich wirkt, andererseits aber, oft zu seinem eigenen Besten, eine Flucht unmöglich macht. Zwei Jahre nach Orlow machten die Amerikaner einen Fehler mit Witali Urtschenko, einem anderen spontanen Überläufer. Um ihn in einer
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