Meade Glenn
Wasser streute.
Die Weide stand nicht mehr hier. Kursk ging bis zur Mitte der Brücke und schaute hinunter. In der Nähe des Ufers schwammen Eisschollen. In der Regel war der Fluss erst Ende Dezember mit einer Eisschicht bedeckt. Jetzt floss die Moskva noch ungehindert in ihrem Bett.
Kursk nahm das Paket, das unter seinem Arm klemmte, in die Hand. Er packte die Urne aus dem braunen Papier und streute Nikolai Gorevs Asche auf den Fluss. Die Asche vermischte sich mit den Schneeflocken, rieselte auf den Fluss und versank in den Tiefen des Wassers. »Es ist vorbei, Nikolai«, sagte er laut. »Jetzt hast du deinen Frieden gefunden.«
Kursk verweilte noch einen Augenblick und sprach ein stilles Gebet. Dann drehte er sich um und ging auf den wartenden Wagen zu.
Florida
Das weiße Haus lag auf einem Hügel, der die Küste Floridas überragte. Die Aussicht war nicht so schön wie zu Hause in Sur.
Hier gab es keinen großen Garten mit Olivenbäumen, und kein Jasminduft schwebte durch die Luft. Dieses Haus war seit ein paar Wochen ihr Zuhause.
Es war ein warmer Dezembertag. Karla Sharif saß auf der Veranda und schaute auf das blaue Wasser. Die bewaffneten FBI-Agenten ließen sie nie aus den Augen. Einer saß neben ihr, las in einer Zeitung und sonnte sich. Heute Morgen hatte sie den Brief zu Ende geschrieben. Er steckte in ihrer Tasche. Sie wartete auf den Besucher. Der silberne Explorer mit den getönten Scheiben fuhr zehn Minuten später den Hang hinauf. In der Einfahrt hielt er an. Der Passagier kletterte aus dem Wagen und stieg die Treppe zur Veranda hinauf.
Es war ein großer kräftiger Mann, und sie kannte seinen Namen: Tom Murphy. Der FBI-Agent entfernte sich, damit sie ungestört reden konnten. Murphy setzte sich auf einen der Korbstühle. »Wie geht es Ihnen? Haben Sie sich erholt?«
Die Wunden schmerzten noch, aber sie würden heilen. Die Ärzte hatten ihr gesagt, es würde Monate dauern, bis sie vollkommen genesen sei. Die Wunden, die niemals heilen würden, schmerzten am schlimmsten. »Danke.«
»Ich wollte Ihnen mitteilen, dass Sie bald hier weggebracht werden«, sagte Murphy. »Aus Sicherheitsgründen darf ich Ihnen nicht sagen, wann und wohin Sie abreisen. Bald können Sie mit einem neuen Namen und einer neuen Identität ein neues Leben beginnen.«
Karla Sharif stellte die Frage, die sie am meisten bedrückte.
»Und mein Sohn?«
Murphy sagte ihr, was er wusste. Die Israelis hatten Josef in ein anderes Hochsicherheitsgefängnis verlegt. Ein Gefängnis, in dem die Gefangenen zu ihrer eigenen Sicherheit in Einzelhaft gehalten wurden. Dort wurde er rund um die Uhr bewacht.
»Glauben Sie, ich werde ihn je wieder sehen?«
Murphy sah sie mitfühlend an. »Das habe ich nicht zu entscheiden. Major Kursk hat für Sie ein Gesuch eingereicht und um die Freilassung Ihres Sohnes gebeten. Wir müssen abwarten.
Vielleicht haben Sie Glück. Sollte er freigelassen werden, wird er entscheiden, ob er Sie sehen will oder nicht.«
Karla nickte und biss sich auf die Lippe. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Wenn ich kann.«
»Würden Sie dafür sorgen, dass Josef diesen Brief bekommt?« Sie zog den unverschlossenen Umschlag aus der Tasche. »Es ist ein persönlicher Brief an meinen Sohn. Da Sie ihn sicher lesen müssen, habe ich den Umschlag nicht verschlossen.«
Murphy nickte, zog den Brief aus dem Umschlag und las die handgeschriebenen Zeilen. Als er fertig war, schaute er nachdenklich aufs Meer. Die Worte erschütterten ihn.
Schließlich faltete er die Blätter zusammen und sagte: »Er wird den Brief bekommen. Ich verspreche es Ihnen.«
»Danke.«
Murphy stand auf und steckte den Umschlag in seine Hosentasche. Er reichte ihr nicht die Hand, obwohl es so aussah, als hätte er es gerne getan, und nickte stattdessen nur. »Wir werden uns vermutlich nicht wieder sehen. Vielleicht hört es sich in Anbetracht der Lage seltsam an, aber ich wünsche Ihnen viel Glück.«
Karla sah Murphy nach, der die Stufen hinunterstieg. Bevor er sich auf den Beifahrersitz setzte, warf er ihr noch einen letzten Blick zu. Der Fahrer drehte und fuhr den Hang hinunter. Als der Wagen außer Sichtweite war, blickte Karla auf das glitzernde Wasser. Sie trauerte um den Mann, den sie geliebt hatte, und um den Sohn, mit dem sie nicht zusammen sein konnte. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch mit Nikolai. Jeder zahlt einen Preis für das Unrecht, das er begeht, hatte sie gesagt. Nikolai hatte für sein Unrecht gebüßt, und nun büßte
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