Meade Glenn
Blumenstrauß in die Hand.
»Am besten, ich stelle die Blumen ins Wasser und koche uns erst einmal einen Kaffee - einen russischen Kaffee wie damals in Moskau. Dann reden wir.«
Karla holte eine Vase, die Gorev mit Wasser füllte und auf den Tisch stellte. Anschließend nahm er das Glas mit dem Kaffee aus dem Regal, gab vier Teelöffel des aromatischen Kaffees in die Kaffeemaschine und stellte sie an. Als er wieder am Tisch saß, zog er sich eine Zigarette aus der Schachtel.
»Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?«
»Über siebzehn Jahre. Das letzte Mal habe ich dich auf dem Bahnsteig am Moskauer Bahnhof gesehen, und du hast mir zum Abschied gewinkt.«
Gorev nickte. »Das ist lange her. Inzwischen haben wir alle viel erlebt. Hast du wirklich geglaubt, ich sei tot?«
»Ein Palästinenser, den ich an der Patrice-Lumumba-Universität kennen gelernt habe, hat es in Moskau von irgendjemandem gehört. Das ist schon ein Jahr her. Ich habe tagelang geweint.«
»Dann hätte wenigstens einer um mich getrauert. Und wie soll ich gestorben sein?«
»Bei einer Schießerei in der Nähe von Grosny. Du und deine tschetschenischen Kameraden gegen die russischen Spezialeinheiten.«
Gorev warf den Kopf zurück und fing lauthals an zu lachen.
»Das ist ein guter Scherz. Dann hätten die Russen ganz schön was zu tun gehabt.«
»Stimmt das alles, was ich über dich gehört habe?«
»Kommt drauf an, was du gehört hast.«
»Angeblich sollst du ein Terrorist geworden sein, der bedenkenlos für die tschetschenische Sache tötet.«
»Was glaubst du wohl?«
»Wenn das stimmt, bist du nicht mehr der Mann, den ich früher kannte. Der Nikolai Gorev, den ich in Moskau geliebt habe, war ein liebenswürdiger, ehrlicher Mann. Einer der großartigsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe.«
Gorev ergriff ihre Hand und drückte sie freundschaftlich.
»Dann solltest du nicht alles glauben, was du hörst. Und was ist mit dir?«
»Ich arbeite vier Tage pro Woche als Sekretärin in einem Anwaltsbüro in Sur. Die Arbeit gefällt mir. Sie wird aber schlecht bezahlt.«
Gorev schüttelte den Kopf. »Ich hätte vermutet, dass eine so clevere Frau wie du schon lange hier abgehauen wäre. Mit deiner Sprachbegabung und einem Magisterabschluss der Amerikanischen Universität Beiruts. Du hättest überall eine glänzende Karriere machen können, Karla.«
Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Du schmeichelst mir, aber ich gehöre hierher.«
»Wegen Josef?«
Karla Sharifs Miene verdunkelte sich. »Woher weißt du das?«
»Ich habe auch Freunde, die mich auf dem Laufenden halten.«
»Und was haben sie dir erzählt?«
»Dein Mann Michael soll vor zehn Jahren bei einer Autoexplosion in Beirut ums Leben gekommen sein. Vor einem Jahr soll dein Sohn an einem israelischen Checkpoint in der Nähe von Hedera angehalten worden sein. Der Wagen wurde von Hamas-Anhängern gefahren, die Waffen und Sprengstoff transportiert haben. Er wurde angeschossen und schwer verwundet, und es wäre ein Glück, wenn er überhaupt je wieder richtig laufen kann. Im Gegensatz zu den Hamas-Anhängern ist er jedoch mit dem Leben davongekommen. Allerdings hatte er das Pech, ins Gefängnis zu wandern. Für einen Jugendlichen hat er ganz schön Mut bewiesen.«
»Was hast du sonst noch gehört?«
»Dass er die Ungerechtigkeit ebenso hasst wie sein Vater.
Dasselbe Verlangen, die Unterdrückung zu bekämpfen.«
Karlas Wangen erröteten leicht. »Weiter.«
»Wie ich gehört habe, wollte er in seine Fußstapfen treten und für dieselbe Sache kämpfen. Bisher sollen die Israelis ihn noch nicht verurteilt haben, aber wir wissen beide, dass das im Grunde keine Rolle spielt, nicht wahr? Sie können ihn ohne Gerichtsverfahren für den Rest seines Lebens in Haft behalten, wenn sie wollen. Er wird das Gefängnis so oder so nie mehr verlassen. Wenn man einmal im Knast sitzt, gibt es kein Entrinnen mehr.«
»Er ist erst sechzehn Jahre alt.«
»Glaubst du, das interessiert die Israelis? In ihren Gefängnissen sitzen halbe Kinder von vierzehn Jahren. Und in ihren Jugendstrafanstalten sitzen noch jüngere, Achtjährige aus Gaza und dem Westjordanland. Und warum? Sie haben Steine auf israelische Patrouillen geworfen. Aus demselben Grund haben sie Kinder auf den Straßen erschossen. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?«
Karla verlor fast die Beherrschung. Gorev sah ihren verzweifelten Blick und die Tränen in ihren Augen. Er strich ihr über den Arm. »Es tut mir Leid,
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