Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
Wetter so gut?
Dr. Reiner Tiesel: Ja. Oder auch schlechter als anderswo. Zum Beispiel wenn an Tagen mit herrlicher Sonne plötzlich Wolken an der Küste
aufziehen: Vormittags heizt sich die Luft besonders über bebauten Gegenden wie Hafenstädten stark auf. Sie steigt nach oben – und im Ausgleich wird die
Luft über der küstennahen Ostsee angesaugt. Eben war das Meer noch blank wie ein Spiegel, undmit einem Schlag ist der Seewind da! Die
feuchte Luft steigt weiter auf und bildet schließlich starke Kumuluswolken. Da liegt Warnemünde dann plötzlich unter dicken Wolken, und ein paar Kilometer
weiter westlich oder östlich, wo nur Wald ist, scheint strahlende Sonne. Dumm für Leute, die nur aufs Sonnenbaden aus sind. Gegen Abend lösen sich die
Wolken dann wieder auf. Das gibt es nur an der Küste oder in der Nähe von großen Wasserflächen wie der Müritz zum Beispiel. Dort hängen die Wolken dann
ringförmig am Himmel oder nur über einem Teil des Sees.
Apropos Wolken an der Küste: Man hat manchmal das Gefühl, dass sich entlang der Küstenlinie alle paar hundert Meter das Klima
ändert. Zum Beispiel: Der erste warme Tag im Jahr, März oder April. In der Stadt sitzen wir in Badehosen auf dem Balkon und beschließen – lasst uns
anbaden fahren. Wir kommen in T-Shirts und kurzen Hosen am Strand an – und dort herrschen gefühlte null Grad, und die Sonne ist auch weg. Darauf fallen
wir jedes Jahr wieder rein …
Dr. Reiner Tiesel: Das sind die berüchtigten Seenebeleinbrüche. Schön, manchmal aber auch sehr gefährlich. Das gibt es nur im Frühjahr, bei ganz
ruhiger Wetterlage. Die Ostsee ist zu dieser Jahreszeit noch kalt. Da fließt warme Luft über sie hinweg. Die Sonne scheint, das Land heizt sich auf. Über
dem Meer kondensiert dann die warme Luft und bildet den Seenebel, der durch die aufsteigende warme Luft urplötzlich an Land gezogen wird. Diese
Nebelfelder sind kühl, machen das Wetter diesig oder neblig und können ganz und gar die Sonne verdecken. Und ein paar hundert Meter weiter herrscht
sommerliches Wetter.
Seenebel. Und was ist daran gefährlich?
Dr. Reiner Tiesel: Seenebel besteht aus sehr kleinen Wassertröpfchen, viel kleiner als beim normalen Bodennebel. Daher kann er sehr dicht
werden. 15 Meter Sicht – das habe ich selber erlebt. Da kann man nur rechts ranfahren mit dem Auto und hoffen, dass einen die anderen rechtzeitig
erblicken. Ich habe auch mal einen Einbruch direkt am Strand erlebt. Da weiß man nicht mehr, wo vorne und hinten ist. Die See war weg, die Küste war weg,
und die Kinder, die am Strand spielten, waren auch weg. Ich höre bis heute die Mütter, die nach ihren Kindern schreien. Seenebel hat schon Menschenleben
gekostet.
Lassen Sie uns über weniger gefährliche Phänomene reden. Zum Beispiel: Wir feixen immer, wenn an warmen Tagen die Leute sich am
Strand direkt ans Wasser legen. Gegen Abend kommen dann so urplötzlich Wellen auf, dass die Menschen gar nicht schnell genug ihre Sachen zusammenraffen
können. Ich nenne das die »Feierabendbrandung«. Was geschieht da?
Dr. Reiner Tiesel: Das kann zwei verschiedene Ursachen haben. Zum einen die einlaufenden Fähren. Die Schiffe bauen während ihrer Fahrt eine
starke Welle auf, die allein weiterläuft, wenn die Schiffe vor der Küste abbremsen. Irgendwann kommen sie am Strand an – und die Fähre selber ist weit
und breit nicht mehr zu sehen. Bei auslaufenden Fähren funktioniert das übrigens nicht, denn sie haben noch keine Welle aufgebaut. Man sollte da schon auf
seine Kinder aufpassen.
Das andere Phänomen nennen wir »Seiches«. Es entsteht, wenn sich die Ostsee nach einem langen Sonnentag gewissermaßen entspannt. Man muss sich das Meer
wie eine Schüssel vorstellen. Der Schüsselrand ist bebaut,er erhitzt sich stark. Da kommt wieder die Thermik ins Spiel: Kühlere Luft
vom Meer wird an Land gesogen und mit ihr auch das Wasser ans Ufer gedrückt. Wenn das Phänomen gegen Abend nachlässt, fließt das Wasser gewissermaßen vom
Schüsselrand zur Schüsselmitte. Dort bildet sich dann ein Berg aus Wasser, der wiederum in Richtung Ufer zurückfließt. Und das kommt bei uns als Brandung
an. Dieses Auspendeln kann lange hin und her gehen, bis gegen Mitternacht.
Die Ostsee als Ausspannerin – so lieben sie wohl die meisten Menschen. Und das auch im Winter. Denn selbst in der kalten
Jahreszeit geht es entspannt zu in MV, oder?
Dr. Reiner Tiesel: Auch da macht
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