Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
Auch
grammatikalisch geht Typ 5 oft an die Schmerzgrenze. Die ganze Last des Alltags, seiner Existenz keift er lauthals beim Fußball aus sich heraus. Ist die
Partie und somit die allgemeine Stimmung gut, ist seine Zeit vorbei. Als ich in den 80ern als 10-Jähriger meine ersten Spiele gesehen habe, waren es die
ewig wetternden Erwachsenen, die mich am stärksten beeindruckten. Die Generation meiner Eltern und Lehrer gab hier vor aller Augen und Ohren die tollsten
Flüche von sich. Diejenigen, die mir sonst das böse Sch-Wort verboten, riefen nun »Bodo Eierkopp«, »Heun, Heun, der Schwule mit der 9« oder »Rainer, Du
Arschloch«. Fassungslos sah ich Jahre vor der Wende, dass das Publikum die vom Stadionsprecher salbungsvoll begrüßte Partei- und Gewerkschaftsführung
immer wieder erbarmungslos auspfiff und diese die Verwünschungen beharrlich ignorierte.
Unvergessen sind die Hilflosigkeit, Wut und die Verzweiflung, die sich bei Duellen mit dem BFC Dynamo ausbreiteten. Der Verein war das begünstigte
Lieblingskind von Stasi-Boss Erich Mielke und der verhassteste Sportclub der DDR. Selbst in der eigenen Stadt, Berlin, gingen die Zuschauer lieber zum
spielschwächeren 1. FC Union. Unberechtigte Elfmeter, Abseitstore, aberkannte Treffer des Gegners, das Delegieren der besten Spieler anderer Vereine zum
BFC – die Liste der Schiebungen warlang. Die Erfahrungen des vom Ministerium für Staatssicherheit angeordneten Betrugs veranlassen
selbst heute noch einige Rostocker Zuschauer, hinter Niederlagen und vermeintlichen Fehlentscheidungen höhere Mächte zu wähnen. Dann hallen »Fußballmafia
DFB»-Rufe durch das Rund. Bei Liveberichterstattungen zürnt der Fan: Die Moderatoren scheinen häufig eher mit dem Gegner zu sympathisieren, statt um eine
neutrale Berichterstattung bemüht zu sein. Das sensible Hansaherz spürt das natürlich sofort, wittert Verrat und schimpft sich spätestens beim kommenden
Heimspiel die ach so unterdrückte Seele vom Leib.
Typ 6: Der Schlachtenbummler. Ungeachtet des Spielausgangs grölt der Typ »Schlachtenbummler« nach der Partie ein kehliges
»Schalala-lala-lalala«. Dabei hat er passend zum freien Oberkörper zwei bis drei Hansa-Schals an sein linkes Handgelenk gebunden und ein
Plastikbecher-Pils in der rechten Hand. Alle Gliedmaßen sind von sich gestreckt, ähnlich Leonardo da Vincis »Vitruvianischen Menschen«. Die Innenseiten
seiner Beine zeigen nach vorn, die Füße tasten sich wie durch kaltes Wasser, seinen Kopf streckt er in die Richtung, in die er sich bewegen möchte. Die
Geschwindigkeit ist meist gemessen. Promillebedingt gerät dieser Fan-Typ auch mal vollends ins Stocken. Dann erspäht er aber auf der anderen Straßenseiten
noch weitere Schlachtenbummler-Kumpel, denen er mit einem aufflammenden »Schalala-lala-lalala« seine innige Liebe zum FC Hansa versichert und die er
überdies zu einem Sturzbier auffordert.
Zugegeben, es geht nicht immer so launig beschwipst zu, wie es Bier und Gesang glauben machen. Leider führtediese Kombination in der
Vergangenheit in aufgeheizter Derby-Atmosphäre zu Gewalttätigkeiten. Insbesondere die ersten Jahre nach der Wende waren begleitet von massiven
Ausschreitungen. Beim einzigen beständig im Profifußball verbliebenen Ostverein traf sich die norddeutsche Hooliganszene am Wochenende. Gruppierungen aus
dem Umland, Berlin, Hamburg und Hannover nutzten Bundesligaspiele, um sich gegenseitig zu bekriegen oder mit der Polizei Straßenkämpfe auszutragen. Eine
widerliche Randerscheinung, die mit den Jahren in ihrer Häufigkeit abnahm, aber bei bestimmten Aufeinandertreffen leider umso zorniger wieder
aufzieht. Die Feindbilder heißen Cottbus und St. Pauli. Lohnt es sich zu erläutern, warum und seit wann? Eigentlich nicht. Man bekämpft sich, weil man
sich im Grunde sehr ähnlich ist, es aber um vermeintliche Vorherrschaften in irgendwelchen Himmelsrichtungen geht. Der ganz normale Wahnsinn, den die
menschliche Spezies seit Jahrtausenden auf unterschiedlichen Schauplätzen betreibt. Nach einem Chaosspiel gegen St. Pauli wurde Hansa vom DFB wegen
abgefeuerter Raketen zu einem Strafspiel auf fremdem Platz verdonnert – eine bizarre Strafe, denn der Club mietete daraufhin das Berliner Olympiastadion
und hatte mit 58 000 mehr als doppelt so viele Zuschauer wie im heimischen Ostseestadion. Die DFB-Auflage war so »abschreckend«, dass die Vereinsführung
bei nächster witterungsbedingter
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