Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
tatsächliche. Das liegt an der hohenLuftfeuchtigkeit und
dem Wind von See. Das empfindet mancher regelrecht als kalt.
Mal davon abgesehen ist doch in Sachen Wetter Mecklenburg-Vorpommern das sicherste Land der Welt: Schwere Unwetterkatastrophen
kennen wir hier nur aus dem Fernsehen. Keine Temperaturextreme – im Sommer wird es manchmal nicht so richtig heiß, im Winter aber auch meistens nicht so
kalt. Erdbeben gibt es nicht. Auch keine Flüsse, die über die Ufer treten könnten. Die Ostsee ist ein gemächliches Meer, zu flach für Flutwellen. Wenn
überall das Wetter schlecht ist, sollte man nach Mecklenburg-Vorpommern ziehen. Oder?
Dr. Reiner Tiesel: Na ja, ganz so harmlos geht es hier nun aber auch nicht zu. Es gibt zum Beispiel gefährliche Seenebel und schwere
Zyklone. Auf See haben wir Berge aus Wasser. Oder der berüchtigte 13. November. An diesem Tag will hier kein Meteorologe Dienst haben.
Was ist an diesem Tag so schlimm?
Dr. Reiner Tiesel: Im November gibt es oft schwere Stürme und Unwetter. Am 13. November 1872 fand die bislang schlimmste Sturmflut an der Küste
von Mecklenburg und Vorpommern, überhaupt an der Ostseeküste statt. Da verschwanden ganze Landstriche unter Wasser. In Warnemünde zum Beispiel wurden
annähernd drei Meter über normal Null gemessen, die Stadt stand komplett unter Wasser. Fast 300 Menschen kamen um. Und dann: Genau 100 Jahre später, am
13. November 1972, gab es den schwersten Orkan, der je an der mecklenburgischen Ostseeküste gemessen wurde: Windstärke 15. Da hat es die Menschen von der
Promenade geweht. Zu dieser Zeit des Jahres sollte man sich alsogenerell in Acht nehmen. Im November 1994 rief mich der Pastor der
Petrikirche in Rostock an. Der Turm seiner Kirche war 1942 zerstört worden. Jetzt sollte die neue kupferne Turmhaube aufgesetzt werden. 117 Meter
hoch. Ich sagte: »Um Gottes Willen!« Denn ich hatte auf der Wetterkarte gesehen, dass schon wieder ein schwerer Sturm im Anmarsch war. Die Turmbauer
machten die Nächte durch und setzten die Turmhaube auf. Am 13. November installierten sie den goldenen Wetterhahn. Kurz danach brach das Unwetter
los. Hinterher habe ich mich mit dem Pastor geeinigt: Den unteren Teil des Himmels, die Wetteratmosphäre, überlässt er künftig uns Meteorologen.
Warum gibt es denn gerade am Ende des Jahres solche schweren Stürme?
Dr. Reiner Tiesel: In dieser Zeit entstehen besonders über der Ostsee gefährliche Tiefdruckgebiete. Voraussetzung ist eiskalte Luft aus dem
Osten, aus dem Inneren von Russland zum Beispiel, die dann über das noch nicht zugefrorene, also vergleichsweise warme Meer rast. Dabei bauen sich
Zyklonen auf, kreisende Tiefdruckgebiete, die wie riesige Wirbel übers Wasser und dann auch über das Land fegen. Einmal habe ich acht Stück hintereinander
beobachtet. Wenn sie aus Nordost kommen, haben sie sehr viel Platz, um über der See richtig Fahrt aufzunehmen. Das kann verheerend sein. Schneesturm,
Sturmflut. Ich habe sie »Ostsee-Zyklone« genannt, weil dieses Phänomen vorher nicht bekannt war. Manche Kollegen nennen sie deswegen auch
»Tiesel-Zyklone«. Im Scherz, versteht sich.
Lassen Sie uns bitte mal von schönem Wetter reden – schließlich scheint »Klärchen«, wie die Sonne hier genannt
wird, in Mecklenburg-Vorpommern länger als anderswo. Hiddensee führt immer wieder als sonnenreichster Ort Deutschlands die Hitparaden an. Wie kommt
das?
Dr. Reiner Tiesel: Na ja, da streiten sich Freiburg und Hiddensee. Freiburg im Breisgau liegt ja direkt im Einflussbereich des Azorenhochkeils
und bekommt regelmäßig warmes Wetter und reichlich Sonne. Bis Hiddensee reicht das Azorenhoch natürlich nicht, da passiert etwas anderes. Die Insel, wie
übrigens auch Fischland, Darß und Zingst, ist nur wenig bebaut und erhitzt sich deshalb nicht so stark in der Sonne. Dadurch ist die Thermik gering, also
der Austausch von warmer Landluft und kühlerer Luft von der See. Und bei geringer Thermik entstehen eben auch seltener Wolken oder Schauer. Noch wichtiger
ist allerdings der »Hiddensee-Strom«. Der entsteht durch einen großen Steinwall unter Wasser vor der Westküste der Insel. An dieser Unterwassermauer
steigt besonders bei Ostwinden das kalte Wasser aus der Tiefe hoch an die Oberfläche. Und kaltes Wasser verhindert die Wolkenbildung. Der Einfluss der
Thermik gilt übrigens für alle küstennahen Gegenden des Landes.
Daher ist bei uns landesweit das
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