Mecklenburger Winter
das Rondell mit der Figur eines Pferdes und einer Frau im Seitsitz. Kai wies seinem jugendlichen Fahrer den Weg durch die Gassen auf den kleinen Parkplatz hinter seinem Laden mit dem angeschlossenen Fitnessstudio. Als Kai seine Sporttasche ergriff, drehte sich Leon ruckartig zu ihm herum und biss sich verlegen auf die Lippen.
„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht sauer machen, oder so. Vergiss einfach, was ich gesagt habe, okay? War eh nicht so wichtig“, sprudelte er hervor. Kai sah ihn sekundenlang verstimmt an, bis Leon immer unsicherer wurde. „Ich bin nicht wütend auf dich, Leon“, erklärte er. „Ich bin eher wütend auf deinen Vater, weil er dir so etwas einredet.“ Leon zuckte scheinbar beiläufig die Schultern, aber Kai bemerkte, genau den betroffenen Ausdruck in seinen Augen. „Gehört der Laden etwa dir?“, lenkte Leon ab und wandte rasch den Blick. Kai folgte seinem Blick zum Schaufenster und dem Schriftzug des Ladens: „Steady State - Fitnessstudio und -bedarf“, stand in silberner Schrift auf der Scheibe.
„Nur vom Studio kann ich nicht leben“, erklärte Kai, der sich gerne ablenken ließ, auch wenn die Wut in ihm noch nicht verraucht war. „Willst du reinkommen und es dir anschauen?“ Leon zögerte, schüttelte jedoch den Kopf. „Ich sollte sehen, dass ich zu meiner Oma komme“, erklärte er hastig, eindeutig eine Ausrede. Gerade hatte ich das Gefühl gehabt, ihm etwas näher zu kommen, plötzlich ist da wieder eine Wand. „Schade.“ Kai zuckte die Schultern und stieg aus. Sofort verspannte er sich in der klirrenden Kälte. Immerhin kam der Wind nicht auf den kleinen Innenhof. Er schulterte die Sporttasche und beugte sich ins Auto: „Danke fürs Fahren.“ Leon sah ihn unsicher an, dann hoben sich die Mundwinkel doch zu einem Lächeln.
„Soll ich dich morgen wieder um die gleiche Zeit abholen?“ Kai fühlte, wie ihm ein Schauer den Rücken hinab lief, der nichts mit der Kälte zu tun hatte. Leon wollte ihn eindeutig wiedertreffen. Okay, er wollte eventuell auch nur einfach nett sein. So waren die Mecklenburger eben. Stets hilfsbereit. Aber es war ihm eigentlich auch völlig egal, denn er wollte auch ihn gerne wiedersehen, also nickte er zustimmend und zwang sich zu einem unbefangenen Lächeln.
„Würde mich sehr drüber freuen“, meinte er und über Leons Gesicht huschte kurz ein strahlendes Lächeln. Er wandte allerdings sofort den Blick ab und startete das Auto. „Dann bis morgen, Kai.“
„Bis morgen, Leon“, antwortete dieser, schloss die Tür und erst, als er dem Auto hinterher sah, fiel ihm auf, dass Leon ihn zum ersten Mal mit seinem Namen angesprochen hatte.
5 Schneesturm
Draußen tobte ein Schneesturm.
Schon seit dem Vorabend wirbelten die eisigen Flocken vom Himmel, begruben das flache Land unter ihrer Masse an feuchter Kälte und raubten der Sonne ihr Licht. Vor Kais Küchenfenster versank die Welt in einem verwirrenden Etwas aus Eiskristallen. Drinnen hingegen war es warm. Kai schob seine Lektüre von sich, nahm sich eine Scheibe Brot und blickte zu Leon hinüber, der sich mit seinem Tee zu ihm setzte.
Leon kam immer überpünktlich, jeden der Tage, die er Kai mit nach Lulu nahm. Darüber beschwerte sich Kai natürlich nicht. Sie unterhielten sich meist über Belanglosigkeiten, dennoch genoss Kai es, wenn Leon da war.
„Was macht dein Training?“, fragte dieser neugierig nach, weil Kai schon wieder über seinem Plan brütete. „Scheiß Winter“, gab Kai unwirsch zurück. „Bringt mir alles durcheinander. Dabei wollte ich dieses Jahr ein paar größere Sachen machen und natürlich die Challenge packen. Vielleicht sogar den Iron Man.“
Leon schmunzelte. „Was ist das denn? Klingt nach einem Bodybuilderwettkampf?“ Er maß Kai mit einem belustigten Blick. „Dann musst du aber noch gewaltig trainieren.“ Kai schnaubte und bemerkte zufrieden, dass Leon immer mehr aus sich heraus kam, je länger sie sich kannten.
„Du hast im Ernst, keine Ahnung, was der Iron Man ist? Mann, wo lebst du denn?“
„In McPom, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest“, bemerkte Leon augenzwinkernd. „Du ja offensichtlich auch. Und nein, ich habe keine Ahnung, was ein Ironman ist. Woher auch?“ Ja, woher auch? Kai riss sich zusammen. Leon lebte in einer ganz anderen Welt als er selbst. Fitness, Sport, Extremsport, Ausdauerleistung; Leon war ganz sicher noch nie zuvor damit in Berührung gekommen.
„Der Iron Man“, betonte Kai und nahm einen
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