Mecklenburger Winter
überaus vorsichtiger Fahrer.
Kai stutzte. War das etwa gerade ein verstecktes Kompliment gewesen? Erst wollte er lachen, war sich aber plötzlich sicher, dass er Leon damit eher verärgern würde. Stattdessen wurde er ernst und man hörte es auch seiner Stimme an: „Ich bin nicht irgendwann schwul geworden. Ich wurde so geboren. Ich war schon immer schwul.“
„Entschuldigung.“ Leon klang zerknirscht. „Ich wollte dich nicht beleidigen. Es ist nur ... Wenn du auch mit Mädchen geschlafen hast ... Wieso weißt du dann, dass du schon so geboren wurdest und nicht erst später ... schwul geworden bist?“ Das beschäftigt ihn wirklich sehr , erkannte Kai. Ob er vielleicht doch ...? Ach Quatsch! Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen. Er ist nur neugierig. Wärst du in seinem Fall auch. Er ist schließlich verdammt jung und hat noch keine einschlägigen Erfahrungen, so wie er redet. Du hast deinen ersten Mann immerhin schon mit sechzehn gehabt.
Kai schüttelte entschlossen den Kopf. „Auch wenn ich ein paar Fehltritte mit Mädchen hatte, insgeheim wusste ich immer, dass ich eher auf Kerle stehe. Man entdeckt höchstens irgendwann, dass man sich was vorgemacht hat.“ Leon bremste vor der Ortschaft Kummer ab und achtete sehr genau auf den Blitzer. „Man wird nicht vielleicht auch ... so, wenn man eben ... kein ... äh, also richtiger ... Mann ist?“ Leons Stimme wurde gegen Ende immer leiser. Kai spürte seine plötzliche Anspannung und war sich sehr sicher, dass Leon gerade all seinen Mut zusammengenommen hatte, um diese Frage zu stellen.
Aber er würde mir diese doch nur stellen, wenn er selbst Zweifel hätte, nicht wahr? Kais Herz schlug schneller. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben und Leon nicht zu kompromittieren. Instinktiv wusste Kai, dass Leon langsam ein wenig Vertrauen zu ihm fasste, und diese ersten Bande zwischen ihnen wollte er auf gar keinem Fall gleich wieder zerstören. Fieberhaft überlegte er, wie er eine Antwort formulieren konnte: „Meinst du etwa damit, dass du vielleicht Gefahr laufen könntest, schwul zu werden, nur weil du schmaler bist und kein muskelbepackter Bodybuildertyp?“
Leon zuckte ertappt zusammen und sackte unwillkürlich in seinem Sitz tiefer. Er schluckte, fuhr sich mit der Zunge nervös über die Lippen und kaute an der Unterlippe. Volltreffer. Also das ist es.
„Wer hat dir denn jemals so einen Quatsch erzählt?“ Kai stöhnte. „Es gibt durchaus Schwule, die aussehen wie Arnold Schwarzenegger. Das hat nichts damit zu tun, wie viel Muskeln oder Kraft man hat. Oder wie „männlich“ man aussieht. Das ist auch keine Frage von Testosteron!“ Kai verdrehte die Augen. „Ich sehe bestimmt nicht nach einer Frau aus, die zufällig einen respektablen Schwanz und Eier zwischen den Beinen baumeln hat, oder? Und ich bin auch kein Schwarzenegger.“
Mit einem Lachen versuchte Kai die angespannte Situation zu lockern. Es gelang ihm nicht. Leon verzog das Gesicht, brauchte jedoch einen Moment, bis er schließlich den Mut fand, weiter zu sprechen: „Aber du siehst halt schon aus, wie ein echter ... Mann. Mein ... mein Vater meint, wenn man aussieht wie eine Schwuchtel, dann darf man sich nicht wundern, wenn andere dich dafür halten.“ Seine Stimme war so leise geworden, dass man ihn kaum noch verstand.
Kai saß wie erstarrt und ließ die Worte auf sich wirken. Plötzlich wurde ihm Leons Verhalten klar. Heiße Wut packte ihn. Was war das für ein Vater, der so einen Blödsinn erzählte? Kai erinnerte sich an die Bilder, die er im Netz gesehen hatte und seine Antipathie wuchs. Ein großer, kräftiger, maskuliner Mann. Und Leon ist schmal, schlank und ganz anders. Nein, sie haben wirklich nicht viel Ähnlichkeit. Aber verdammt, Leon ist ohnehin noch jung, nicht mal ausgewachsen und überhaupt …
„Wenn dein Vater so etwas sagt, ist er ein Idiot“, brach es impulsiv aus Kai hervor. „Solange du einen Penis und Hoden hast - und davon gehe ich einfach mal aus, bist du ein voll funktionstüchtiger Mann, egal ob du Muskeln hast, oder nicht. Und völlig unabhängig davon, ob du auf Muschis oder Schwänze stehst.“ Schnaubend lehnte Kai sich zurück und sah zum Ludwigsluster Schloss hinüber, während sie vorbei fuhren. In dem weißgrauen Schnee verschwand der barocke Bau fast gänzlich.
„Am Ende der Straße nach links“, dirigierte er Leon, der aus seinen Gedanken hochschreckte und hastig anhielt, als die Ampel kurz vor ihnen auf Orange sprang. Sie umkreisten
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