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Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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sich und zum ersten Mal hielt er den Augenkontakt länger. „Klar, mache ich.“ Kurz bevor Kai die Tür zuschlug, fügte er hinzu: „Danke.“ Grinsend winkte Kai ihm nach. Er blieb in der eisigen Luft so lange stehen, bis die roten Schlussleuchten um die Ecke verschwanden. Erst dann schritt er seufzend zur Tür.
    Hoffentlich waren das keine leeren Worte gewesen. Was würde er darum geben, Leon noch einmal wiederzusehen … Ach, das Leben war echt unfair.

 
6 Eisglätte
     
    Kai vermisste ihn. Seine regelmäßigen morgendlichen Besuche, ihre gemeinsame Autofahrt, die Wärme und den Komfort. Vor allem aber, seine Gesellschaft und ihre Gespräche.
    Du bist ein dämlicher Idiot. Dieser Siebzehnjährige geht dir nicht mehr aus dem Kopf. Er ist tabu, unerreichbar, nichts für dich. Und dennoch … Leons Gesicht und seine Augen tauchten immer in sehr unpassenden Momenten vor Kais innerem Auge auf. Vornehmlich nachts, im Halbschlaf. Allerdings auch bei den langen, einsamen Laufeinheiten durch die eisigen, winterlichen Wälder rund um Hagenow. Eigentlich immer, wenn er sich den Weg durch die Schneemassen bahnte, mit vor Kälte brennendem Gesicht, nassen Schuhen, dem scharfen Wind trotzte, der es irgendwie doch unter seine winddichte Kleidung schaffte.
    Es schneite mittlerweile jeden Tag. Nicht kontinuierlich, aber doch immer wieder, in mehreren Schüben. Tag für Tag, Nacht für Nacht, als ob diese Welt nicht in einer Sintflut, sondern in Schneemassen untergehen sollte. Welche Arche sollte dem entkommen? Mussten sie dieses Mal ein gigantisches Schneemobil bauen? Vielleicht versank die Welt einfach im Schnee, ging leise und unspektakulär darin unter.
    Mehr und mehr von der weißen Masse sammelte sich in den Wäldern an, türmte sich an den Straßen zu meterhohen Schneewehen oder zu Wällen, die täglich von den Räumfahrzeugen an den Straßenrändern höher aufgeschüttet wurden. Stellenweise waren die Straßen regelrecht zu Hohlwegen geworden, in denen Kai den Schutz vor dem schneidenden Wind genoss, bis er an der nächsten freien Stelle mit Wucht attackiert wurde. Der Ostwind, sein erklärter Feind, versuchte ihn beständig von der Straße zu stoßen. Ihre Fehde dauerte an.
    Die Schneemenge machte es Kai unmöglich, sein Radtraining wie geplant durch zu ziehen. Die Nebenstraßen waren mittlerweile so vereist und rutschig, dass er es irgendwann einsah, nachdem er sich bei einem Training zweimal lang gelegt hatte und nur mit viel Glück keine größeren Verletzungen davongetragen hatte.
    Sein Lauftraining hatte er ebenfalls auf die eher langweiligen Landstraßen verlegen müssen, denn im Wald kam er nicht mehr durch, ohne knietief, stellenweise sogar hüfthoch, darin zu versinken. Zwar war das anstrengend genug, aber er wusste auch, dass er dabei falsche Bewegungsmuster trainierte, also wich er zwangsläufig aus.
    Der harte Winter bot gute Bedingungen für Wintersportler, aber dazu gehörte er definitiv nicht. Dafür hatte er noch nie etwas übrig gehabt. Ein paar seiner Freunde aus Hamburg kamen jetzt an den Wochenenden gerne zum Langlauf herüber. Ihre gute Laune und den Spaß neidete er ihnen, wenn sie den Abend dann beim „Alten Fritz“ in Picher verbrachten, wo man als besondere Spezialität, Fleisch direkt auf dem heißen Stein serviert bekam und es sich Stück für Stück darauf braten konnte. Rind, Huhn, Strauß, ja sogar Känguru und Krokodil, mit leckeren Folienkartoffeln. Ein Genuss, den seine Hamburger Freunde sehr zu schätzen wussten.
    Ein guter Freund von Kai, der Fotograf Dirk Landers kam nur aus diesem Grund regelmäßig am Wochenende raus gefahren und leistete ihnen dabei Gesellschaft.
    Ihre Gespräche drehten sich dabei fast immer um Sport. Ausdauersport im Speziellen, denn sie alle kamen irgendwie aus der Szene. Kai beteiligte sich zwar an den Gesprächen, war aber vor allem frustriert. Der anhaltend harte Winter brachte all seine Pläne durcheinander und so langsam musste er sich mit dem Gedanken tragen, dass seine Saisonplanung nicht funktionieren würde. Anfang Februar sah es nicht so aus, als ob sich das Wetter in absehbarer Zeit ändern würde. Das machte ihn von Tag zu Tag mürrischer.
    Hinzu kam, dass er sogar bei den netten Abenden mit seinen Freunden ständig an Leon denken musste. Er hatte von ihm nichts mehr gehört. Weder hatte er sich bei ihm telefonisch gemeldet, noch hatte er ihm eine SMS geschickt. Mehrmals hatte Kai schon den Finger über der Taste gehabt, um ihn seinerseits

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