Mecklenburger Winter
auf.“
„Verschwinde“, erklang es gedämpft durch die Tür. „Hau ab und lass mich endlich in Ruhe.“ Bodo verzog das Gesicht und verdrehte die Augen. „Leo? Hab jemanden mitgebracht. Mach endlich auf. Der Kai is' hier.“
Stille. Kai konnte seinen Atem hören, den eigenen Herzschlag, Bodos leises Schnaufen. Nichts weiter. Hinter der Tür regte sich nichts. „Leo? Haste gehört?“, hakte Bodo nach. „Kai is' hier. Dein Freund. Der aus dem Fitnessding. Ich habe ihn hergebracht.“ Noch immer rührte sich nichts. Kai lauschte so intensiv, dass er das Rauschen seines eigenen Blutes hören konnte. Kein Wunder: Sein Herz schlug immer schneller und härter. Was tat Leon? Warum machte er nicht auf? Was war los?
Bodo stieß ihn auffordernd an. „Los, sag ma' was. Vielleicht glaubt er es dann.“
„Leon?“ Kai erkannte seine eigene Stimme kaum wieder. Bemüht ruhig zwang er sein Herz in einen langsameren Takt. „Leon, bitte mach auf, wir müssen reden.“
„Hau ab.“ Die Stimme war viel näher an der Tür und ihr fehlte der Nachdruck. Sie klang … flehend. „Ganz bestimmt nicht“, widersprach Kai. „Ich campiere notfalls so lange vor der Tür, bis du rauskommst. Definitiv rühre ich mich nicht hier weg, bis du dich gezeigt hast.“ Schweigen.
Bodo runzelte die Stirn. Kai atmete. Ein, aus, ein, aus. Ruhig bleiben, gelassen, sicher wirken.
„Gibt nichts zu reden“, erklärte Leon. Scheiße, er klingt richtig mies. Kais innerer Alarm schrillte in allerhöchster Lautstärke. Leon ging es schlecht. Was war hier wirklich passiert? „Du kennst mich“, erklärte Kai, noch immer scheinbar gelassen. „Ich habe Ausdauer. Irgendwann musst du rauskommen. Du kannst natürlich die nächsten Tage in die Ecken scheißen und versuchen, aus dem Fenster zu pinkeln, aber irgendwann musst du rauskommen, wenn der Gestank zu groß wird. Und dann werde ich hier sein.“ Bodo starrte ihn mit offenem Mund an und begann zu kichern, hielt sich jedoch sofort die Hand vor den Mund.
„Oh Mann.“ Etwas Dumpfes knallte gegen die Tür. Kai stellte sich Leon vor, wie dieser mit der Stirn gegen das Holz gelehnt dastand und die flache Hand dagegen schlug. „Du bist so ein Idiot. Warum kannst du mich nicht alleine lassen?“
„Weil ich eben so bin“, erklärte Kai. „Ich bin eine penetrante Zecke, wenn ich was will. Du weißt das. Du kennst mich gut genug. In- und auswendig sogar. Also mach endlich auf.“ Zum Glück war sich Kai sicher, dass Bodo die Zweideutigkeit seiner Worte nicht verstand. Leon sehr wohl.
Erneutes Schweigen. Leon dachte nach. Kai konnte ihn vor sich sehen, als ob die Tür durchsichtig wäre. Los, mach schon, Kleiner. Öffne die Tür, komm mir wenigstens diesen einen Schritt entgegen. Ja, ich war ein Arsch, ja, ich bin ein Idiot, aber ich liebe dich und ich werde dich ganz bestimmt nicht in diesem Bau lassen, in den du dich vor der Welt verkrochen hast.
Das Geräusch des Schlüssels. Ein leises Schaben, Metall auf Metall. Dann endlich öffnete sich die Tür einen Spalt. Leon erschien nicht. Kai vernahm Schritte, die sich entfernten. Ungeduldig stieß er die Tür auf, erhaschte noch einen Blick auf Leons Rücken, der sich auf sein Bett fallen ließ, den Kopf in das Kissen vergraben. Bodo lugte um die Ecke, überließ das Zimmer jedoch Kai und Leon.
„Hey, Kleiner.“ Kai trat ans Bett heran, ein wenig unschlüssig, wie er fortfahren sollte. „Bodo hat mich hergeschleift. Was ist los?“
„Hättest nicht kommen müssen“, nuschelte Leon ins Kissen, ohne den Kopf zu heben. „Ich komme schon klar.“
„Was ist passiert?“ Kai ließ sich nicht beirren. Seine Hand legte sich unsicher auf Leons Rücken. Er spürte dessen Atemzüge, das Wummern des Herzens, einen … Schluchzer? „Scheiße, Mann, was ist passiert?“ Weg war Kais kühle Selbstbeherrschung, verjagt von Furcht, vertrieben von rasender Besorgnis. Seine Hand legte sich fest auf Leons Schulter, zog daran, drängte und endlich hob dieser den Kopf, wandte Kai das Gesicht zu.
Große, graugrüne Augen sahen ihn an. Schmerz darin, Angst, Scham, Liebe, so viele Emotionen auf einmal, dass Kai übel wurde. Die Augen rotgerändert, zeigten Spuren von Tränen. Die Wangen waren gerötet, das Gesicht verquollen. Leon hatte geweint. Viel und lange.
Aber was Kai noch viel mehr ins Auge stach, war der große, dunkel verfärbte Bluterguss auf der Wange.
„Scheiße“, stieß er hervor und seine Finger ballten sich zur Faust. „Ich bringe ihn
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