Mecklenburger Winter
im Krankenhaus liegst. Oder soll ich erst zur Beerdigung kommen und dir eine hübsche rote Rose hinterher werfen?“ Kai wurde langsam sauer. Auf sich. Ja, er war ein riesengroßer Idiot gewesen. Hirnverbrannt, stur, dumm. Wenn er nur einmal vorher über seinen Schatten gesprungen, nur einmal angerufen hätte. Wenn, wenn, wenn. Zu spät. Er hatte seinen gut trainierten Arsch nicht hochbekommen und Leon hatte dafür einstecken müssen. Zum letzten Mal.
„So ein Quatsch“, wiegelte Leon ab. „Mach es nicht dramatischer, als es ist.“
„Noch dramatischer?“ Kai war in Fahrt. „Seit wie vielen Tagen verkriechst du dich in deinem Karnickelloch? Riechen tut es nach mindestens drei Tagen.“
„Zwei“, warf Bodo grinsend ein. „Na dann eben zwei. Auf jeden Fall bleibst du nicht hier. Pack ein paar Sachen ein, du kommst mit zu mir.“ Suchend sah Kai sich nach einer Tasche um. Das Zimmer bot das typische Durcheinander eines Jungenzimmers, da war es schwer etwas zu finden. Leon schüttelte den Kopf. Seine Augen hielten Kais forderndem Blick nicht recht stand.
„Du hast gesagt ...“, begann er recht leise. „Scheiße! Leon!“ Bodo hätte vermutlich einen respektablen Satz gemacht, wenn das Gesetz der Trägheit nicht gegen ihn gewesen und seine Gestalt am Boden fixiert hätte, so laut wurde Kai. „Was muss noch passieren? Ja, ich war ein Hornochse und ja, es tut mir leid. Soll ich jetzt unsere Zeit damit vergeuden, reumütig auf Knien über deinen ungestaubsaugten Boden zu rutschen? Wenn es das ist, was du willst, kein Problem, aber bekomm deinen Arsch hoch.“
Für einen Moment funkelte ihn Leon wütend an, stand Widerspruch in seinen Augen und er sprang auf. „Du hast doch selbst Schlu...“ Es gelang ihm nicht, er konnte es nicht aussprechen und wäre Bodo nicht da gewesen, hätte Kai gewiss andere Methoden angewandt, um Leon zu beweisen, wie ernst er es meinte und wie leid es ihm tat.
„Habe ich nicht“, erklärte Kai mühsam beherrscht. Sein Herz war ein Fremdkörper in seiner Brust, der wie rasend dagegenschlug und freigelassen werden wollte. Ein Alien, welches ihm gleich die Rippen brechen und sich blutig hervorarbeiten würde. „Aber du ...“ Abermals brach Leon ab. Na große Klasse. Kai verdrehte innerlich die Augen. Könnte mal eben jemand Bodo aus dem Bild schieben? Dann müssten wir uns nicht in halben Sätzen, folgenschwere Bedeutungen um die Ohren knallen. Und dabei krampfhaft die Wörter „schwul“, „Freund“ und „Liebe“ vermeiden.
Leon stieß die Luft aus.
Kai ebenso.
Leon schwieg.
Kai schwieg.
Das Einzige, was sprach, waren ihre Augen: Du hast mit mir Schluss gemacht.
Habe ich nicht und sollte es so angekommen sein, bitte ich um Verzeihung.
Ich dachte, du meldest dich.
Ich auch.
Idiot.
Ebenfalls.
Ich habe dich vermisst.
Scheiße, ich dich auch.
Ich liebe dich noch immer.
Ich dich eigentlich auch. Verzeihst du mir? Perfekte, nonverbale Kommunikation. Zumindest theoretisch.
„Er hätte dem Leo sein Pferd nich' einfach verkaufen dürfen“, unterbrach Bodo an Kai gewandt ihr gesprächiges Schweigen und nickte ernst, als ob darin die Grundlage aller Probleme liegen würde. „Daran hat er nämlich gehangen.“
„Es gibt noch viel mehr, was ...“ Kai sprach nicht weiter, schluckte alles hinab. Sollte es sich eben zu einem schlechtgelaunten Magengeschwür zusammenballen. Hier hatten Vorwürfe nichts verloren. Wichtig war, Leon rauszubringen, auch wenn der Sturkopf sich querstellte. Aber da kannte er Kai schlecht.
„Wenn du nicht gleich deine Sachen packst, schleppe ich dich raus, einfach über die Schulter geworfen“, versprach Kai lahm. Aber irgendwie ging ihm etwas die Luft aus unter diesem Blick. „Is' schon besser, wenn du mit dem Kai ma' weg von hier bist“, brummte auch Bodo und genoss abermals Kais hell aufflammende Sympathie. „Wenn Mama wieder da ist, hat er es schon vergessen.“ Vermutlich im Alkohol ertränkt, schoss Kai bissig für sich ab.
„Aber die Pferde?“, wandte Leon ein und zuckte hilflos die Schultern. „Hat die letzten Tage auch ohne dich geklappt“, gab Bodo zurück und grinste schief. „Ich hab ja noch die Woche Urlaub und packe schon mit an. Vadder und ich bekommen das schon hin. Mach ma'.“
Kai verbat sich das höhnische Augenzwinkern und bemerkte nur ein vages Bedauern, dass Bodos Urlaub für diesen nicht wirklich Faulenzen bedeuten würde. Einerseits war ihm Bodo zwar sympathisch, andererseits stand er in der
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