Mecklenburger Winter
und wich abermals Kais Krücke aus, die dieser nach ihm warf. Leon hob sie auf und reichte sie Kai mit einem mitleidigen Blick. Dieser funkelte Lars böse an. „Nie im Leben hast du eine Chance, du blöder Angeber. Aber wenn du nicht wenigstens alles versuchst, dich zu unserer Unterhaltung zu blamieren, werde ich ernstlich sauer. Wir fahren nicht hunderte von Kilometern nur um dich als Letzten reintorkeln zu sehen, ja?“
Nun schnaubte Lars und griff spielerisch nach Kais Krücke, doch Leon fing seine Hand ab und sie rangelten einen kurzen Moment lachend miteinander. Kai ging bei dem Anblick das Herz auf. Wie selbstverständlich Leon zu ihrer Gruppe dazugehörte. Für einige Augenblicke konnte er den unterschwellig lauernden Frust vergessen, der an ihm nagte, seit sie die Reise nach Roth zur Challenge angetreten waren. Eine Challenge ohne ihn als Teilnehmer.
Sie waren hingefahren, um Lars anzufeuern und zu unterstützen. Und um dabei zu sein, denn Zuhause wäre Kai durchgedreht oder unleidlich geworden. Eigentlich hatte Leon darauf bestanden, der überaus geduldig mit Kais wechselnden Launen umging. Kai wusste genau, dass ihm das fehlende Training aufs Gemüt schlug, dagegen wehren konnte er sich jedoch nicht und nur die Hochstimmung, dass sein Schneehase nun beständig an seiner Seite hoppelte, verhinderte depressive Stimmung.
Leider hatte die Ungeduld ihm noch einen weiteren Fallstrick gelegt, und nachdem er viel zu früh wieder versucht hatte, das Bein zu belasten, hatte sich der Muskelfaserriss verschlimmert. Leons Standpauke klingelte ihm jetzt noch in den Ohren. Er hatte Leon noch niemals so wütend erlebt und nur der Versöhnungssex färbte das Erlebnis im Nachhinein rosarot. Nun humpelte er mit Verband und Krücken umher, immer unter den wachsamen Augen Leons.
Ihre Situation daheim war nicht wirklich perfekt und nur ein Teil betraf Kai und seinen abrupten Saisonabbruch. Leon berichtete selten von seinen Tagen auf dem Hof, oder beschränkte die Erzählungen auf Erlebnisse mit den Pferden. Von den Spannungen zwischen ihm und Burghardt oder seiner Mutter erzählte er nichts, doch Kai spürte sie. Noch immer hatte er keinen Zeitpunkt oder Gelegenheit gefunden, Leon die Wahrheit über seinen Vater zu sagen und hoffte im Stillen, dass Anneliese ihm diesen schweren Schritt endlich abnehmen würde. Er selbst war einfach zu feige dazu.
Leon war eindeutig erwachsen geworden, selbstbewusster und selbstständig. Das Abitur hatte er bestanden, wenngleich seine Noten nicht berauschend gewesen waren. Kai störte es nicht und Leon hatte ohnehin eine Lehrstelle im Landgestüt erhalten, die kein Abitur voraussetzte. Burghardt war darüber nicht sehr glücklich, denn damit würde ihm Leon für die nächsten zwei Jahre als Arbeitskraft auf dem Hof wegfallen. Mit dem neuen Pferd lief es dagegen hervorragend und erste Turniererfolge ließen vermutlich auch Burghardt teilweise vergessen, wessen Sprössling, mit welch abartiger Neigung, er großgezogen hatte.
„Siehste, wir sind nicht zu spät“, bemerkte Basti zufrieden und blickte über das bunte Bild an der Wechselstelle. Kai nickte einigen Bekannten zu und musste zum gefühlt tausendsten Mal Bedauern über sich ergehen lassen.
„Im Grunde sind die meisten doch heilfroh, dass du ihnen in diesem Jahr nicht davonlaufen wirst“, raunte ihm Lars schmunzelnd zu. „Ich ja auch.“
„Zeig du erstmal, dass du auch alleine die Strecke findest“, brummte Kai zurück. So sehr es ihn ärgerte, dass er nicht selbst dabei sein würde, fand er doch durchaus Gefallen daran, Lars zu betreuen, dessen Nervosität bereits am Vortag des Wettkampfes überdeutlich spürbar war. Sorgfältig schritt er die Wege ab, die er am morgigen Tag aus dem Wasser zu seinem Rad und von dort auf die Radstrecke gehen musste.
Leon schaute sich interessiert um und Kai erklärte ihm: „Dies ist die Wechselstelle. Da drüben kommen sie aus dem Wasser. Jeder hat sein Fahrrad, Helm und alles, was er sonst braucht, hier deponiert, es muss ja schnell gehen.
„Raus aus dem Neopren, rauf aufs Fahrrad“, ergänzte Lars und kaute auf der Unterlippe herum, während er anderen Athleten zunickte. „Die Schuhe sind schon an den Pedalen, siehst du?“
„Wahnsinn.“ Leon war beeindruckt. „Hoffentlich findest du in dem ganzen Durcheinander wirklich dein Fahrrad.“
„Und stolperst nicht über anderer Leute Sachen“, ergänzte Kai süffisant grinsend und auf einen Fauxpas vor einem Jahr anspielend. Lars
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