Mecklenburger Winter
mitgekommen.“ Anneliese schluckte hart. Ihr Gesicht wirkte erschöpft und sie tat Kai nun doch ein wenig leid. Sie nickte kaum merklich und streckte zögernd die Hand aus. „Ich … ich gebe zu, dass ich damit einfach meine Probleme habe.“ Kai erhob sich und stützte sich auf einer Krücke ab, um ihre Hand zu ergreifen. Ihr Händedruck war lasch, die Hand kalt. „Aber ich danke Ihnen, dass Sie für Leon da sind. Bitte, würden Sie uns für einen Moment alleine lassen?“ Sie hob den Blick und sah ihn direkt an. Furcht stand in ihren Augen und Kai verstand. Sie will es ihm sagen, sie will es ihm endlich verraten. Er nickte zustimmend, klopfte Leon auf die Schulter und konnte sich einen flüchtigen Kuss nicht verkneifen. Anneliese wandte den Blick ab und sank auf einen der Stühle.
„Ich warte dann im Auto“, murmelte Kai und humpelte davon. Hoffentlich geht das gut, hoffentlich, macht er mir keine Vorwürfe, hoffentlich …
Draußen empfing ihn eine milde Sommernacht und er sah zu den Sternen hoch. Alles lief derzeit so gut, warum musste nun so etwas passieren? Es war gut, es war richtig, dass Leon endlich die Wahrheit erfuhr. Aber wie würde er es aufnehmen? Oh Mann. Kai ging der Arsch echt auf Grundeis und seine Hände fühlten sich feucht an. Wie würde Leon reagieren? Würde er sich betrogen vorkommen? Konnte er Kai danach noch vertrauen? Ihre Liebe war so etwas Kostbares, Kai wollte sie nicht verlieren. So viele Gelegenheiten, schimpfte er mit sich. Du hättest es ihm hundert Mal sagen können und hast dich nie getraut. Nun wird er dich hassen, weil du es nicht gesagt hast, weil du ihn betrogen hast. In einer Beziehung ist man ehrlich miteinander und du hast sein Vertrauen missbraucht.
Aber es war auch nicht sein Job gewesen, Leon die Wahrheit zu sagen. Anneliese und Burghardt waren verantwortlich, es wäre an ihnen gewesen. Sie hatten diese Lüge aufgebaut und aufrechterhalten.
Kai lehnte sich an das Auto und schloss die Augen. Er konnte nichts mehr ändern, nur warten.
68 Endlich im Ziel
Kai ließ die Augen geschlossen, auch als er die Schritte vernahm, die sich ihm näherten. Sein Herz legte einen Sprint hin und die kühle Abendluft strich ihm über die feuchte Stirn. Leons Schritte verhielten neben ihm. Er konnte seinen Atem hören und den Duft wahrnehmen und öffnete die Augen. Leon hatte die Hände auf das Autodach gelegt und starrte auf das Blech.
„Du hast es gewusst, oder?“, flüsterte er mit einer seltsam fremden Stimme, die Kais Kloß im Hals auf gigantische Ausmaße ausweitete. Er konnte nur nickten. Jede Entschuldigung erstickte, erschien billig und unecht. „Warum …?“ Leon brach ab und er wandte ruckartig den Kopf, sah ihn direkt an. Kai konnte den Ausdruck nicht deuten. Wut war darin. Gegen ihn? Verzweiflung brodelte in den graugrünen Augen.
„Ich wollte … ich … war nie der richtige Zeitpunkt ...“, brachte Kai krächzend hervor und seine Zunge wollte ihm nicht mehr gehorchen. „Warum hast du es mir nicht gesagt?“, fuhr Leon flüsternd fort, schien gar nicht zugehört zu haben, den Blick hatte er auf das Auto gerichtet. „Warum hat niemand …?“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten und ruckartig drehte er sich herum, stieß hart mit dem Rücken an das Auto. Ein bitter klingendes Lachen entkam ihm und brach sofort wieder ab. Kai schluckte hart, versuchte krampfhaft durch seinen engen Hals zu atmen und schob sich dichter heran.
„Es tut mir leid.“ Seine Hand griff nach Leons Oberarm und glitt haltlos hinab. Schnaubend stieß Leon die Luft aus und wandte sich Kai erneut zu. „Dir tut es leid? Was? Du bist doch nicht schuld. Sie haben mir die ganzen Jahre was vorgemacht. Und ich ...“ Seine Augen glitzerten. „Ich … Oh Mann, ich wollte doch immer nur, dass er mich …“ Er biss sich auf die bebenden Lippen und lachte schnaubend auf. „Ich hatte nie eine Chance. Egal, was ich getan hätte, egal wie gut ich gewesen wäre, ich hatte nie eine Chance, dass er mich akzeptiert und liebt. Nie. Niemals.“
Leon kämpfte mit den Tränen. Die Fäuste schlugen immer wieder gegen die Autotür und er legte den Kopf in den Nacken. „Das ist so verdammt unfair. Ich ...“ Kai gab sich einen Ruck, trat nach vorne und zog ihn an sich. Noch immer konnte er nicht sprechen und es gab wohl auch keine Worte, die treffend waren, die Leon den Schmerz und die Enttäuschung nehmen konnten. Er konnte nur versuchen, für ihn da zu sein.
Für einen Moment versteifte
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