Medaillon des Schicksals (German Edition)
in der ersten Reihe der Kapelle. An ihrem Hals leuchtete ein nagelneues Schmuckstück, welches sie von ihrem Mann als Geschenk zur Geburt des Sohnes erhalten hatte. Die schwere Goldkette mit dem kostbaren Rubin aber schmückte sie nicht, sondern brannte auf ihrer Haut wie Feuer. Mit einem angestrengten Lächeln nahm sie die Glückwünsche der Gäste entgegen und wirkte bereits erschöpft, bevor der Taufgottesdienst begonnen hatte.
Ganz hinten an der Wand, beinahe unsichtbar unter den Bediensteten, stand die alte Hebamme Rosalba und betrachtete mit aufmerksamen Blicken das Geschehen.
Und als der Conte di Algari seinen Sohn über das Taufbecken hielt und ihm den Namen Giacomo, der Nachgeborene, gab, flüsterte sie leise vor sich hin. »Verflucht seist du, Conte di Algari, verflucht. Verdorren soll dein Leib, das Herz dir erstarren, und alles, was du je an Schlechtem getan hast, soll zu dir zurückkehren.«
Vergeblich bemühte sich die Magd, die neben ihr stand, die leidenschaftlich hervorgebrachten Worte der Hebamme zu hören. Doch sie verstand nichts, verstand nur das Wort ›verflucht‹, bekreuzigte sich und glaubte, das Käuzchen erneut rufen zu hören. Zur gleichen Zeit wie auf der Burg fand auch im Dorf eine Taufe statt.
Eine Kolonne fahrender Händler, Kaufleute, Gaukler, Schauspieler und Vaganten hatte sich vor wenigen Tagen im Dorf eingefunden und mit allerlei Spektakel für Zerstreuung gesorgt. Sämtliche Dorfbewohner waren herbeigeeilt, ja, selbst aus den umliegenden Weilern waren die Bauern mit ihren Frauen gekommen, um seltene Dinge wie Putz, Spangen und Schnallen, ein paar alltägliche Gewürze und Stoff einzukaufen und sich an den vielen Lustbarkeiten zu ergötzen.
Doch heute kannte das lustige Treiben in der Wagenkolonne kein Halten mehr. Überall waren Tische und Bänke aufgebaut, aus allen Wagen kamen die Frauen und stellten Schüsseln und Platten mit Fleisch, Käse, Pasteten, Oliven und Tomaten auf den Tisch, und auch der Chianti floss in Strömen. Heute war ein besonderer Tag für die Händler, Gaukler und Vaganten, denn die große Zweckfamilie war um ein weiteres Mitglied gewachsen.
Paola, die Olivenhändlerin, hatte einem Mädchen das Leben geschenkt. Einem Mädchen mit braunroten Locken und einem winzigen Mal über der Oberlippe.
Estardo, ihr Mann, war überglücklich vor Freude, denn das kleine Mädchen war nach langen Jahren des Hoffens und Wartens das erste Kind des jetzt schon älteren Ehepaares, das die Geburt heil überstanden hatte.
Und nachdem der herbeigerufene Priester das kleine Mädchen auf den Namen Rosaria getauft hatte, feierten die Händler und Vaganten ein rauschendes Fest, stießen ein ums andere Mal auf das Glück der kleinen Rosaria an und ließen Estardo und seine Frau Paola hochleben.
Als jedoch die Wahrsagerin, wie es im Wagendorf üblich war, dem neuen Erdenbürger die Zukunft weissagte, herrschte Schweigen unter den Feiernden, und in den Augen Paolas glitzerten Tränen.
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1. Kapitel
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18 Jahre später
Eine Wagenkolonne zog durch die sommerliche Toskana. Die Sonne brannte heiß, und die Pferdehufe wirbelten den roten Staub der ausgetretenen und von tiefen Furchen durchzogenen Wege auf. Zu beiden Seiten des Weges erstreckten sich Felder. Der rote Mohn in dem reifenden Weizen und die jungen, schlanken, fast schwarzen Zypressen, welche die Felder voneinander trennen, setzten bunte Farbtupfer in die von warmen Rot- und Brauntönen durchtränkte Landschaft.
Rosaria saß auf einem der Wagen, hatte die flache Hand schützend über die Augen gelegt und betrachtete die geliebte Landschaft. Ihr Blick schweifte über die sanft geschwungenen Hügel, die sich wie Perlen auf einer Kette aneinander reihten, verweilte bei einzeln stehenden Gehöften oder Baumgruppen, die sich aus den Hügeln schälten. Das besondere Licht dieser Gegend bewirkte, dass die Hügel, die am weitesten entfernt lagen, klarer erschienen als die Erhebungen im Vordergrund – ein Naturschauspiel, das Rosaria faszinierte, so oft sie es sah.
Die Wagenkolonne fuhr weiter, ließ die Felder hinter sich. Rosarias Blick schweifte nach links und blieb nun an einem Olivenhain haften. Mit einem Lächeln begrüßte sie die niedrigen, ausladenden Bäume mit den schmalen grünsilbrigen Blättern, die leise im Wind raschelten und ein Loblied auf die Heimat zu singen schienen. Rechter Hand erstreckten sich die Weinberge. Hunderte von Stöcken standen auf angelegten Terrassen wie brave Soldaten neben- und
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