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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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den Tod ihres armen Bruders eine ihrer Geschichten erzählen, die so überaus glaubhaft sind, solange sie einen mit ihrem Blick festhält, aber jetzt muß ich mich wappnen, daß ich nicht wieder auf sie hereinfalle.
    Kurios war es schon, wie sie uns mit zum Friedenszeichen erhobenen Händen grüßte, ein Zeichen, das nur dem König oder seinem Abgesandten zukommt; wie sie freimütig ihren Namen nannte, Medea, Tochter des Königs Aietes und oberste Priesterin der Hekate; wie sie, als käme es ihr zu, unseren Namen und unser Anliegen zu wissen begehrte und ich, überrumpelt, dieser Frau offenbarte, was nur der König erfahren sollte. Und wie seltsam mein Herz sich gebärdete, als mein Name mir fremd wurde aus ihrem Mund. Viel später erst spielten wir mit der Magie unserer Namen, heute kommen all die alten Dinge wieder hoch, an die ich so lange nicht mehr gedacht habe. Wir lagen auf der »Argo«. Medea nannte mich beim Namen, als nehme sie mich zum erstenmal wahr, sie hielt mich in Armlänge auf Abstand und musterte mich auf eine Weise, dieich, weniger bezaubert, als ungehörig empfunden hätte, und sagte dann sehr ernst, beinahe feierlich, so als habe sie eben einen Entschluß gefaßt: Jason, ich esse dein Herz.
    So war sie, dieses Gehabe. Ich habe das niemals jemandem erzählt, ungern macht man sich lächerlich. Aber in jener Nacht, unter diesem Sternenhimmel fand ich es, wie soll ich das nennen, ergreifend. Auch so ein Wort, Akamas würde die Mundwinkel herunterziehen. Als wenn nicht auch er ihr seinen Tribut entrichtet hätte. Auch er. Ich weiß nicht, wie weit das ging, auf solche Fragen, die mir schließlich zustehen, hat sie schon immer mit einem Hochziehen der Augenbrauen geantwortet, aber ich bin ja nicht blind, ich habe Blicke aufgefangen, von ihm zu ihr, Bewunderung, könnte man es nennen, oder Überraschung, aber bei einem Mann wie Akamas, der sich um nichts in der Welt Überraschung anmerken läßt, will das etwas heißen. Mag sein, daß meine Sinne, durch Eifersucht geschärft, für dergleichen besonders empfänglich sind. Übrigens hat sich Akamas’ Verhältnis zu Medea verändert, seit sie die Hungersnot abgewendet hat, die Korinth nach der großen Dürre zweier Jahre drohte. Nicht durch Zauber. Das behaupten die Korinther. Aber sie verbreitete ihre Kenntnis der eßbaren Wildpflanzen, die unerschöpflich zu sein scheint, und sie lehrte, nein, zwang die Korinther, Pferdefleisch zu essen. Und sie zwang auch ihre Kolcher dazu und uns, die paar restlichen Argonauten. Bei mir fing sie an. Sie bereitete mir mitten in der Hungerzeit eine herrliche Mahlzeit und ließ sie mich essen, Auge in Auge mit ihr, sie bestätigte meine Ahnungen, sah ungerührt zu, wie es mich würgte, und brachte michdann dazu, wie, weiß ich selbst nicht mehr, mich vor allem Volk als Pferdefleischesser zu bekennen. Die Strafe der Götter hatte mich nicht getroffen, das Volk schlachtete die Pferde, aß, überlebte und vergaß das der Medea nicht. Seitdem gilt sie als böse Frau, denn, sagt Akamas, die Leute wollen sich lieber für verhext halten, als sich selbst zu glauben, daß sie Unkraut fraßen und die Eingeweide unberührbarer Tiere verschlangen, aus gewöhnlichem Hunger. Medea sagt, wer die Leute zwinge, an ihr Heiliges zu rühren, mache sie sich zum Feind. Das ertragen sie nicht. So verleumden sie mich, sagt sie. Aber neue Speicher haben sie immer noch nicht gebaut.
    Zu hoch für mich, all diese schwierigen verborgenen Zusammenhänge. Jedenfalls: Akamas wird Medea gegen die Beschuldigung, ihren Bruder getötet zu haben, nicht in Schutz nehmen. Seit dieser Hunger- und Pferdegeschichte sieht er sie als eine Bedrohung für sich an. Wenn einer, hat er die Mittel, den Verdacht zu schüren, ohne ihn direkt auszusprechen.
    Und sie macht es einem auch nicht gerade leicht. Fast könnte man meinen, sie spiele mit der Gefahr. Wie sie schon geht. Herausfordernd, das ist das Wort. Die meisten Kolcherinnen gehen so. Es gefällt mir ja. Aber man kann doch die Frauen der Korinther auch verstehen, wenn sie sich beschweren: Wieso sollten Fremde, Flüchtlinge, in ihrer eigenen Stadt selbstbewußter gehen dürfen als sie selbst. Es kam zu Reibereien, ich sollte schlichten, Medea ließ mich abblitzen.
    Aber wohin treibt es mich. – Das Vließ? fragte Medea überrascht. Aber wieso das Vließ. Da standen wir beim Brunnen, sie hatte uns, Telamon und mir, den ersten Becher Wein gereicht, und ich hatte zum erstenmaldie Funken in ihren graugrünen Augen

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