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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ließ die anderen vorgehen, stand dicht bei mir, legte ihre Hand auf meinen Nacken und sagte: Mach dir nichts draus, Jason. Es hat so kommen müssen.
    Die Hand kann ich in meinem Nacken spüren, wann ich will, und was sie mir gesagt hat, ist mir oft ein Trost gewesen. Aber wem soll ich das erzählen. Telamon? Dem kann ich es seit langem nicht mehr recht machen. Der hat sich keine Frau genommen, begnügt sich mit Liebschaften. Ausgerechnet der hat es mir übelgenommen, daß ich nicht mit Medea in dieses Vogelnest an der Palastmauer gezogen bin. Der macht Stimmunggegen mich in den Schenken, in denen er sich herumtreibt und das bißchen Geld vertrinkt, das ich ihm gebe, schließlich ist er einer der letzten Gefährten aus unserer großen Zeit. Es kommt vor, daß wir uns unverabredet im Schatten der »Argo« treffen, die in Hafennähe unter großen Feierlichkeiten aufgedockt wurde und jetzt von keinem Menschen mehr beachtet wird, was heißt, daß unsere Taten schon vergessen sind. Einmal habe ich Telamon in Tränen ertappt. Er trinkt, da wird man wehleidig. Akamas hat recht: Die Zeiten werden um so größer, je weiter man sich von ihnen entfernt, das ist normal, und es ist sinnlos, sich an die großen Zeiten zu klammern. Nur, woran soll man sich klammern. Medea? Mit ihr zugrunde gehen? Man könnte den Verstand verlieren.
    Ohne sie wäre uns Kolchis verschlossen geblieben. Sie führte uns zu ihrem Vater, dem König Aietes, der empfing uns, überrumpelt, Medea stellte uns ihm förmlich vor und ging, obwohl er sie bat, in befehlendem Ton, sie solle bleiben. Sie ging. Er saß allein in der großen Halle aus Holz, die reich ausgestattet und mit Schnitzereien geschmückt war. Ein schmächtiger Mann, der den Thronsessel kaum ausfüllte, sein Gesicht war hager und bleich, umrahmt von krausem schwarzem Haar, ein Häufchen Unglück, sagte Telamon, als wir wieder draußen waren, mir fiel ein anderes Wort ein: brüchig. Die ganze Erscheinung war brüchig, wie die Stimme, mit der er uns willkommen hieß und sich geehrt zeigte über Gäste von so weit her, die ihm sicherlich kundtun würden, was sie zu ihm führte. Ich trug ihm, nicht anmaßend, doch bestimmt, meinen Auftrag vor, das Fell jenes Widders, das mein Onkel Phrixos nach Kolchisgebracht habe, mit seiner, des Aietes Erlaubnis, an seinen Ursprungsort zurückzubringen und dadurch die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu festigen und einen regulären Seeweg einzurichten.
    Zuerst dachte ich, Aietes habe mich nicht verstanden. Ja, ja, der Phrixos, sagte er und kicherte, wobei er sich mit einer unpassenden Altmännergeste die Hand vor den Mund hielt, dann brachte er läppische Anekdoten vor, ziemlich peinliche Liebesgeschichten, die dem Onkel angeblich regelmäßig schiefgegangen waren. Er redete und redete, Mädchen brachten uns Wein und die schmackhaften Gerstenfladen, die ich mir heute noch von den Kolcherinnen hier backen lasse, keine kann es so gut wie Lyssa, dann entließ er uns plötzlich, ohne ein Wort über unser Anliegen verloren zu haben, und am nächsten Abend wurden wir wieder zu ihm beordert, in großer Formation diesmal, es gab einen förmlichen Empfang, als kennten wir uns noch nicht, ein anderer König saß da würdevoll in höfischer Kleidung auf dem Thron, umgeben von den Ältesten, neben mir an der Tafel die dunkle, verschlossene Medea und ihre Schwester Chalkiope mit ihrer braunen Haut, dem blonden starken Haarschopf und den stahlblauen Augen. Die Frauen der Kolcher können einen verwirren, dachte ich und fing an, mich behaglich zu fühlen, da kam der kalte Guß. Einer der Ältesten erhob sich, brachte eine Reihe unverbindlicher Floskeln vor und verkündete schließlich den Ratschluß des Königs. Er erlege mir bestimmte Proben auf, ehe man mir das Vließ überlassen wolle. Ich sollte die Stiere besiegen, die es bewachten, und ich sollte die ungeheure Schlange überwinden,unter deren Schutz das Vließ im Hain des Ares in der Krone einer Eiche aufgehängt war und die, soviel hatten meine Männer schon erfahren, von der Aura der Unbesiegbarkeit umgeben war.
    Ich spürte Zorn in mir aufsteigen. Was sollte das. War das eine Falle. Sollte ich mich darauf einlassen. Ich suchte die Blicke meiner Männer, Ratlosigkeit bei allen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte den Tisch umgekippt und wäre gegangen. Aber wir waren hoffnungslos in der Minderzahl.
    Die Schlange. Immer noch träume ich von ihr. Das kolchische Ungeheuer, das sich

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