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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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in ungeheuerlicher Länge um den Stamm der Eiche windet, im Traum sehe ich sie so, wie meine Männer sie beschreiben: mit drei Köpfen, dick wie der Stamm der Eiche, feuerspeiend sowieso. Ich mische mich da nicht ein, ich mag in meiner Kampferregung nicht alles wahrgenommen haben, und die Korinther wollen hören, daß im wilden Osten auch die Tiere unbezwinglich und schauerlich sind, und es schaudert sie, wenn man ihnen sagt, daß die Kolcher Schlangen als Hausgötter an ihrer Herdstelle hielten und sie mit Milch und Honig fütterten. Wenn sie wüßten, die braven Korinther, daß diese Fremden auch hier nicht davon abgelassen haben, daß sie es heimlich weiter tun, das Schlangenhalten und Schlangenfüttern. Aber sie betreten ja nie die ärmlichen Behausungen der Fremden am Rand der Stadt, oder Medeas Wohnstätte, so wie ich es tue, wenn es mich doch immer wieder zu ihr treibt und mir aus der Asche von Lyssas Herdstelle ein Schlangenköpfchen mit den goldbraunen Augen entgegenblickt, bis Lyssa es durch leichtes Händeklatschen vertreibt. Sie wissen die Schlangen zu zähmen, das istdie Wahrheit, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Habe gesehen, wie Medea sich an den Stamm jener mächtigen Eiche hockte, wie die Schlange sich zu ihr herunterbog und sie anzischte, wie Medea aber leise zu summen anfing, dann zu singen, eine Melodie, die das Untier still werden ließ, so daß Medea ihm den Saft frisch geschnittener Wacholderzweige auf die Augen träufeln konnte, den sie in einem Fläschchen bei sich trug und der den Drachen, oder soll ich sagen: die Drachin, einschläferte.
    Viele Male habe ich es erzählen müssen, wie ich auf den Baum geklettert bin, wie ich das Vließ zu packen kriegte und mit ihm glücklich wieder herunterkam, und jedesmal hat die Geschichte sich ein wenig verändert, so wie die Zuhörer es von mir erwarteten, damit sie sich ordentlich fürchten und am Ende ordentlich erleichtert sein konnten. Es ist dahin gekommen, daß ich selbst nicht mehr genau weiß, was ich da in dem Hain, an der Eiche mit jener Schlange erlebt habe, aber das will ja sowieso keiner mehr hören. Sie sitzen abends an den Lagerfeuern und singen von Jason dem Drachentöter, manchmal komme ich vorbei, es schert sie nicht, ich glaube, sie wissen nicht einmal, daß ich es bin, den sie besingen. Einmal hörte Medea mit mir den Liedern zu. Am Ende sagte sie: Sie haben aus jedem von uns den gemacht, den sie brauchen. Aus dir den Heroen, und aus mir die böse Frau. So haben sie uns auseinandergetrieben.
    Es war ein trauriger Augenblick. Und wenn ich an solche Augenblicke denke, dann will ich nicht glauben, daß sie ihren Bruder getötet hat, warum denn bloß. Und eine leise Stimme in mir sagt, die glauben es selbernicht, am wenigsten Akamas, aber ich bin mißtrauisch geworden gegen meine inneren Stimmen, man hat mir dargelegt, daß sie von Medea beeinflußt waren und, wer weiß, noch sind, sie hat Macht über Menschen, sie schläfert einen ein. Wenn sie einen lange genug angeblickt hat mit ihren goldfunkelnden Augen unter dem dicken Strich der zusammengewachsenen Augenbrauen, dann glaubt man, was sie einem einredet. Kreon selbst hat mich davor gewarnt.
    König Kreon ist wie ein Vater zu mir, was sage ich, er ist besser als mein Vater zu mir. Mein Vater hat mich immerhin als Säugling weggegeben, mag ja sein, weil er mich den Nachstellungen meines Onkels, des Thronräubers Pelias, entziehen wollte, und ich will mich nicht über meine Kindheit beklagen; man lebte mit Cheiron als Erzieher in den Gebirgswäldern Thessaliens frei und zugleich mit allem Wissen versorgt, das ein Mann von guter Familie braucht, ich weiß noch, wie Medea meine Kenntnisse in der Heilkunde beeindruckten. Das ist lange her. Irgendwann muß ein Mann sich entscheiden, was er will, und muß auch vergessen können, was er nicht mehr gebrauchen kann und was ihn nur belastet. So sprach mein Vater, der wollte auf den Thron zurück, das ist verständlich. Er war mir ein Fremder, als ich ihm zum erstenmal gegenübertrat, und die Frau an seiner Seite, die mich unter Tränen umarmte, mochte meine Mutter sein oder auch nicht. Sie war es, zweifellos. Übrigens eine plumpe Frau. Wie anmutig war Medeas Mutter Idya, wenn ich sie mit ihr vergleiche. Sehr schmal saß die neben dem König, aber nicht als sein Schatten. Schmal und fest. Und übrigens hochgeachtet. Wir fanden es eigentlich übertrieben, wie die Kolcherihre Frauen hielten, als hinge von ihrer Meinung und ihrer

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