Medea. Stimmen
gesehen, eine einzigartige Erscheinung. Man kann süchtig danach werden. Und sie, wenn sie die Wirkung bemerkt, kann auf ihre überlegene Weise lächeln und die Augen niederschlagen, den Gefesselten freigeben, und bis heute scheint es ihr nichts auszumachen, daß mancher dieser Freigelassenen ihr diese Überlegenheit schwer verdenkt. Das Vließ. Da sollte ich ihr nun in diese Augen hinein erklären, warum ich ein starkes Schiff mit fünfzig Rudern und einem hohen Segelmast hatte bauen lassen, es mit den edelsten Söhnen meines Landes besetzt hatte und mit ihm durch unser vertrautes Mittelmeer, durch eine hochgefährliche Meerenge in das wilde bedrohliche Schwarze Meer gefahren war, hierher in das düstere Kolchis, wo die Toten an den Bäumen hingen, nur um ein simples Widderfell zu holen, das allerdings, das gab sie ohne weiteres zu, vor Jahren mein Onkel Phrixos, der auf der Flucht war, als Gastgeschenk hier abgeliefert hatte. Ja gut. Aber was brachte mich dazu, ein Gastgeschenk zurückzufordern. Mir war doch all die Tage der Reise ganz klar gewesen, wozu wir dieses Fell auf einmal so dringend in Jolkos benötigten, schließlich setzten wir all unsere Kräfte, ja unser Leben dafür ein, und nun, vor dieser Frau, fing ich an zu stottern, und all die hohen und zwingenden Gründe schrumpften auf die etwas klägliche Tatsache, daß meine Nachfolge auf den Thron von Jolkos an den Besitz dieses Vließes geknüpft worden war. Sie, forschend, gab sich Mühe zu begreifen. Ach so, es gehe um den Herrschaftsstreit zwischen zwei Königshäusern. Ja. Nein. Nicht nur. Telamon, ungeschickt, sprang mir bei. Pelias, mein Onkel, der den Thron in Jolkos besetzthalte, habe geträumt. Wie schön für Pelias, sagte Medea, sie kann unangenehm nüchtern sein. Sie glaubte, mein Onkel Pelias wolle mich mit diesem gefährlichen Auftrag einfach außer Landes schaffen. Aber nein, nein. Jedenfalls nicht nur. Jetzt kam es darauf an, dieser Frau begreiflich zu machen, das Vließ war nicht nur ein Vorwand, sondern ein heiliger Gegenstand, auf den wir nicht verzichten konnten. Wieso, wollte sie wissen. Nun sollten wir die Aura eines heiligen Gegenstandes mit dürren Worten beschreiben. Wir zappelten uns ab, bis Telamon herausplatzte, das Vließ sei ein Symbol männlicher Fruchtbarkeit, worauf sie trocken bemerkte, dann sei es um die männliche Fruchtbarkeit in Jolkos wohl nicht zum besten bestellt. Ungern denke ich an die Beteuerungen, in die der arme Telamon sich verhedderte und die sie endlich mit einer lässigen Handbewegung abbrach.
Sie saß auf dem hohen Roß, sie sagte, was immer dieses Vließ uns bedeuten mochte, sie glaube nicht, daß ihr Vater, der König, es ohne weiteres ausliefern werde. Ein bisher wenig geschätzter Besitz werde einem ja plötzlich kostbar, wenn ein anderer ihn begehre, nicht wahr. So trotteten wir verwirrt hinter ihr her in ihres Vaters Palast, der übrigens ganz aus Holz war, kunstvoll mit Schnitzereien verziert, gewiß, aber einen Palast würde man das bei uns nicht nennen. Trotzdem versäumten wir nicht, unsere Bewunderung auszudrücken, wie der Gastfreund es soll, und ich hatte zu tun, den Schwarm unliebsamer Gedanken einigermaßen zur Ruhe zu bringen, den sie in meinem Kopf aufgestört hatte. So geht es immer mit ihr, bis heute. Nichts hat den König Kreon und seine Umgebung so gegen sie aufgebracht wie derGleichmut, mit dem sie kürzlich ihre Austreibung aus dem Palast von Korinth zur Kenntnis nahm, angeblich, wie der Leibarzt des Königshauses bezeugte, weil ihre Mittelchen und Tränke der uralten Mutter des Königs geschadet hätten, aber das glaubte sowieso keiner. Jetzt bringen sie schon andere Ausreden vor. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, warum man sie aus dem Weg haben wollte. Leukon behauptete, der Palast habe ihr stolzes spöttisches Wesen nicht mehr ertragen, aber reicht das aus? Jedenfalls packte sie beinahe erleichtert ihre Sachen, viel war es nicht, ich stand herum, sah ihr zu, sagte nichts, hatte nichts zu sagen, Lyssa machte nebenan die beiden Kinder fertig, dann standen sie vor mir, mit ihren Bündeln, so wie sie einst in diesen stolzen Palast eingezogen waren, mir wurde heiß, ich schluckte. Ich höre Medea noch fragen: Na, gehst du mit? Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen, und genau das hatte sie mir mit ihrer Frage zeigen wollen. Ich würde sie oft besuchen, muß ich wohl gesagt haben, sie und die Kinder, und sie lachte, nicht geringschätzig, eher nachsichtig, fand ich, und
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