Medea. Stimmen
hörte ich zwei Korinther leise darüber reden, daß die Opferstiere aus den geheimen Vorräten gefüttert worden seien, die der Palast angelegt hat und deren Versteck einer der beiden zu kennen vorgab, was den anderen zu erschrecken schien, denn er beschwor seinen Gefährten, bloß niemandem etwas zu verraten, vor allem nicht ihm. Wer dieses Geheimnis besitze, ohne dazu befugt zu sein, sei des Todes. Ha, sagte der andere frech, aber ehe sie ihn schnappten, würde er es laut herausschreien, wie sie in diesen Notzeiten im Palast lebten, sein Schwestersohn sei einer der Unterköcheim Königshaus, er wisse Bescheid. Aber ehe er dem zu Tode Erschrockenen noch weitere Einzelheiten aufdrängen konnte, wurde ihm das Wort abgeschnitten durch das grauenhafte Gebrüll der Stiere, das uns das Blut in den Adern stocken ließ. Alle auf einmal waren sie von geübten Opferpriestern abgestochen worden.
Ich habe viel Ungeheures gehört, niemals zuvor etwas Ungeheuerlicheres als dieses Brüllen der geopferten Kreaturen, es war, als schrien sie unser aller Not und Schmerz und unsere Anklage in den Himmel. Unser Zug war mit einem Ruck stehengeblieben. Als Stille eintrat, bewegte er sich hastig vorwärts, aufwärts, bis wir, hoch über der Tempelmauer, das Bild der Göttin sahen, Artemis. Ein Anblick, der die Korinther erschauern ließ, und das sollte er auch. Ein Ruf kam auf, schwoll an: Groß ist die Göttin der Korinther, Artemis. Ich stimmte in den Ruf nicht ein und erregte Anstoß. Eines der alten Weiber, die sich in einer eng aneinandergedrängten Gruppe schon länger in meiner Nähe herumdrückten, zischte mich an, ob ich mir zu schade sei, ihre Göttin zu preisen. Nein, sagte ich, aber das Weib wollte gar nichts hören, eine heftige Bewegung der Menge riß uns auseinander. Ein Unbehagen kam in mir auf, aber der Gedanke, umzukehren, ist mir nicht gekommen. Warum eigentlich nicht.
Agameda meint, es sei eine Form von Hochmut, auf Haß nicht mit Haß zu antworten und sich so über die Gefühle der gewöhnlichen Menschen zu erheben, die Haß genauso brauchen wie Liebe, eher mehr. So spricht sie natürlich nicht mit mir, wir gehen uns lange schon aus dem Weg, Zuträgerinnen hinterbringen mir fleißig, was sie über mich in Umlauf setzt. Auf dem Fest habeich sie wiedergetroffen. Nur ein Wort schleuderte sie mir entgegen, als das Fest aus den Fugen geraten war, als es sich in einen brodelnden Kessel von Gewalt verwandelt hatte und sie mir im Altarhof plötzlich gegenüberstand: Scheusal.
Einzelne Worte haben sich schon immer in mir festsetzen können. Jetzt steht sie, Agameda, womöglich vor den Ältesten und sagt ihnen dieses eine Wort über mich, auf das sie gewartet haben, nach dem sie dankbar schnappen werden. Nichts Besseres kann ihnen passieren, als daß eine Kolcherin genau das über mich sagt, was sie schon lange denken. Und ich könnte ihr, Agameda, nicht einmal Falschheit vorwerfen. Was sie über mich verbreitet, das fühlt sie auch, nicht der Hauch eines Zweifels rührt sie an. Das sagte ich Oistros, der eine tiefe Abneigung gegen Agameda hat, da wurde er wütend. Ich solle mich nicht immer in die Gefühle der anderen versetzen, sagte er scharf.
Ich glaube, wir wußten beide, daß ich in der Falle saß. Auch Lyssa wußte es. Sie entließ mich heute früh mit einem tränennassen, zornigen Gesicht, ich durfte mich nicht von den Kindern verabschieden. Ich bin sicher, sie hat Arinna Bescheid gegeben. Arinna, die seit Wochen verschwunden war, über die Gerüchte umgingen, sie sei mit einer kleinen Gruppe von Frauen in die Berge gegangen. Da stand sie plötzlich, hager geworden, tiefbraun, mit verwildertem Haar. Sie forderte mich auf, mit ihr zu gehen. Sie wollte mich retten. Ich spürte einen starken Zug in mir, ihr zu folgen, in wenigen Augenblicken rollte das Leben vor mir ab, das ich dann führen würde, ein hartes Leben voller Entbehrungen, aber frei, und unter der Obhut von Arinna und denanderen jungen Frauen. Es geht nicht, Arinna, sagte ich, und sie: Warum nicht. Ich konnte es ihr nicht erklären. Komm zu dir, Medea! sagte Arinna eindringlich. So hat noch nie jemand mit mir gesprochen. Es geht nicht, sagte ich noch einmal. Arinna hob verzweifelt die Schultern, drehte sich um und ging.
Jetzt bin ich müde, ich habe kaum geschlafen. Die wüste Nacht des Festes steckt mir in den Knochen. Der Tag war ruhig verlaufen, man hatte der Göttin in großer Zeremonie die besten Stücke der Opfertiere dargebracht, man hatte ihr die
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