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entschieden hatten, daß der Krieg zu kostspielig sei und beendet werden müsse.
Diese Tatsachen und auch die Mechanismen, mittels derer eine erfreulichere Version der Geschichte durchgesetzt werden konnte, habe ich anderenorts dokumentiert, 65 will hier jedoch kurz den enormen Erfolg der Revision beleuchten. Bereits 1977 konnte Präsident Carter auf einer Pressekonferenz erklären, daß die Amerikaner es nicht nötig hätten, »sich zu entschuldigen oder zu geißeln oder sich als schuldig zu bekennen« und den Vietnamesen auch »nichts schuldig« seien, weil die USA in bester Absicht »die Freiheit der Südvietnamesen verteidigt« hätten (indem sie ihr Land zerstörten und die Bevölkerung massakrierten). Zudem sei »die Zerstörung gegenseitig gewesen« - eine Behauptung, die meines Wissens keinen Kommentar hervorrief, weil sie offensichtlich für vernünftig gehalten wurde. 66 Übrigens sind solche ausgewogenen Urteile nicht nur beseelten Menschenrechtsadvokaten wie Carter vorbehalten, sondern werden auch von anderen Leuten immer wieder gerne vorgetragen. Nachdem der US-Kreuzer Vincennes über iranischen Territorialgewässern ein iranisches Passagierflugzeug abgeschossen hatte, erschien im Boston Globe der Kommentar des Politologen Jerry Hough (Duke University und Brookings Institute), in dem es hieß:
»Wenn diese Katastrophe das Land [die USA] dazu bringt, von der besessenen Beschäftigung mit symbolischer Kernwaffenkontrolle Abstand zu nehmen und sich auf die Probleme von Kriegführung, Kommando und Kontrolle des Militärs sowie die Begrenzung der konventionellen Rüstung (inklusive der Flotte) zu konzentrieren, dann sind 290 Menschen nicht umsonst gestorben.«
Diese Einschätzung unterscheidet sich ein wenig von dem Sperrfeuer der Medien nach dem Abschuß von KAL 007. Einige Monate später wurde die Vincennes in ihrem Heimathafen »mit einem Meer von Fahnen ... Ballons und einer Navy-Band, die schmissige Lieder spielte, empfangen«, während »aus den Schiffslautsprechern der Titelsong des Films ›Chariots of Fire‹ dröhnte und umliegende Kriegsschiffe der Navy Salut schossen«. Ein Presseoffizier teilte mit, man habe verhindern wollen, daß die Vincennes sich bei Nacht und Nebel in den Hafen stehle. 67 Soviel zu den 290 toten Iranern.
Ein Editorial der New York Times nahm, wenn auch nicht ex-pressis verbis, an Carters interessanter moralischer Beurteilung des Vietnamkriegs Anstoß. Unter der Titelzeile »Die Schuld, die nicht vergeht« bemerken die Herausgeber: »Keine Diskussion darüber, wer wem wieviel schuldet darf die schlimmsten Schrecken... unserer kriegerischen Verwicklung in Südostasien verdunkeln.« Allerdings bezog sich dieser Satz auf die Schrecken derer, die vor den Kommunisten fliehen mußten.
Das aber war nur ein kleiner Bruchteil der Hunderttausende, die in Asien auf der Flucht waren. 1977 flohen mehr als 100000 boat people von den Philippinen, Tausende aus Ost-Timor, und Zehntausende aus den Terrorstaaten Lateinamerikas. Das aber war den Zeitungen bestenfalls eine Kurznotiz wert. 68 Andere Schrecken bei der Zerstörung Indochinas blieben unerwähnt und hinterlassen sicherlich keine bleibende Schuld.
Einige Jahre später gab das Thema erneut Anlaß zu Besorgnissen. »Die Schuld gegenüber den Indochinesen legt den Fiskus trocken«, titelte die New York Times und meinte damit die »moralische Schuld«, die wir durch unser »Engagement für die Verliererseite« auf uns geladen hätten. Folgt man dieser Logik, würden die Russen, hätten sie nur den Krieg in Afghanistan gewonnen, weder Schuld noch Schulden haben. Unsere Schuld aber, so erklärte ein Beamter des Außenministeriums, ist mittlerweile »abbezahlt«. Wir haben die moralische Schuld beglichen, indem wir vietnamesische Flüchtlinge aufnahmen, die aus dem von uns zerstörten Land geflohen sind. Das war »eine der größten und aufsehenerregendsten humanitären Bemühungen in der Geschichte«, meint Roger Winter, Leiter des US-Flüchtlingskomitees. Doch obwohl wir darauf so »stolz« sein können, fährt Bernard Gwertzmann, Auslandskorrespondent der New York Times, fort, »fragen einige Stimmen in der Regierung Reagan und im Kongreß immer noch, ob die Kriegsschuld jetzt endlich beglichen sei«. 69
In verantwortlichen Kreisen kann man sich nicht vorstellen, daß wir durch Massaker und Zerstörungen Schuld auf uns geladen haben oder den Millionen von Waisen und Verstümmelten oder den Bauern, die immer noch an den
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