Media Control
Integrität dagegen hieße, die Perspektive umzukehren: Man sollte in erster Linie vor der eigenen Tür kehren und das Handeln daraufhin prüfen, ob es womöglich Leid verursacht, während authentische Menschenrechtsorganisationen sich um eine umfassende Darstellung der Tatsachen bemühen. Derlei moralische Erwägungen sind unserer intellektuellen Kultur ja nicht fremd, wenn es um Untaten von Feinden geht, doch breitet sich Feigheit aus, wenn die eigenen Vergehen zur Diskussion stehen.
Ein Vergleich der Berichterstattung über die Wahlen von 1984 in Nicaragua einerseits sowie in den Vasallenstaaten El Salvador und Guatemala andererseits gelangt, wie verschiedene Studien gezeigt haben, zu ähnlichen Ergebnissen.
Wenn man zudem noch betrachtet, wie die europäischen Medien sich mit diesem Thema auseinandersetzten, kann man nur zu dem Schluß kommen, daß die Berichterstattung in den USA sich im wesentlichen den von der Regierung avisierten Zielen unterordnete. 3
Bei Licht besehen waren die Wahlen in Nicaragua, angesichts ihrer Umstände und Verfahrensweisen, denen in El Salvador eindeutig überlegen. Die amerikanischen Medien jedoch orientierten sich an der jeweils sehr unterschiedlichen Einstellung der Regierung Reagan. Die Einschränkungen der Meinungs- und Organisationsfreiheit und der massive Staatsterror in El Salvador blieben unerwähnt, statt dessen richtete sich die Aufmerksamkeit auf lange Schlangen geduldig wartender Wähler (es herrschte Wahlpflicht), auf angebliche Drohungen von Guerrilleros usw. Schon daß die Wahlen unter erschwerten Bedingungen abgehalten wurden, galt als Triumph der Demokratie. Nicaragua wurde ganz anders wahrgenommen: Hier verschwiegen die US-Medien terroristische Aktionen der Contras ebenso wie die breite, freiwillige Beteiligung an den Wahlen, an denen auch von den USA bevorzugte Kandidaten teilnahmen (die allerdings nur wenig Unterstützung seitens der Bevölkerung erhielten), während jede Abweichung von den sehr hoch angesetzten Maßstäben eines demokratischen Verfahrens lauthals beklagt wurde. Bei der Berichterstattung hielten sich die Medien vorwiegend an Informationen der US-Regierung und der Oppositionsparteien. Das war in El Salvador überflüssig, weil die Opposition dort den Terror nicht überlebt hatte und die unabhängigen Medien vernichtet worden waren.
Dennoch wurden die salvadorianischen Wahlen als kühner und mutiger Schritt in Richtung Demokratie gefeiert, während die Beobachter einer Menschenrechtsgruppe des britischen Parlaments beklagten, daß die Wahlen in einer »Atmosphäre von Terror und Verzweiflung, makabrer Gerüchte und deprimierender Verhältnisse« stattgefunden hätten. Das gilt auch für die Wahlen in Guatemala, die der New York Times-Korrespondent Stephen Kinzer sogar als Vorbild für Nicaragua pries. 4
Fast ausnahmslos kontrastierten die Kommentare im Mainstream die »jungen Demokratien« der Vasallenstaaten mit ihren »gewählten Präsidenten« dem totalitären Nicaragua und seinem »Diktator Ortega«, der durch eine Scheinwahl an die Macht gelangt sei. Das läßt sich durchaus mit den Nachrichten offizieller Medien in Diktaturen vergleichen.
Mit den salvadorianischen Wahlen von 1982 wurde ähnlich verfahren. Die drei US-amerikanischen Fernsehnetzwerke widmeten ihnen über zwei Stunden enthusiastischer Reportagen und Kommentare, während über die Wahlen in Nicaragua nur fünfzehn Minuten lang und sehr skeptisch berichtet wurde. Das britische Fernsehen brachte achtzig Minuten über die Ereignisse, die inhaltlich und formal jedoch völlig anders waren. In den USA wurden mit viel Getöse die Eindrücke der offiziellen US-Regierungsbeobachter wiedergegeben, die nach einer oberflächlichen Inspektion in einer Presse-konferenz ihr Erstaunen über diese spannende Übung in Sachen Demokratie bekundeten, während Martin Bell in der BBC den Zuschauern mitteilte, daß faire Wahlen angesichts des staatlichen Terrors gar nicht möglich seien. Im kommerziellen TV-Sender ITN wies Lord Chitnis von der Menschenrechtsgruppe des britischen Parlaments in einem Slum von San Salvador daraufhin, daß die unter Armeebewachung stehenden Beobachter kaum etwas Sinnvolles über den Verlauf der Wahlen sagen könnten. 5
Eine vergleichende Auswertung der Dokumentation dieser Wahlen in US-amerikanischen und europäischen Medien kam zu dem Schluß, daß »die europäische Presse den politischen Kontext von Furcht und staatlichem Terror hervorhob, während die US-Zeitungen
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