Media Control
das Propaganda-Modell, daß es - ungeachtet seiner Plausibilität und seiner Befürwortung durch diejenigen Eliteschichten, die die »Herstellung von Konsens« für erforderlich halten - aus der Diskussion über die Medien ausgeschlossen bleibt. Natürlich garantieren Plausibilität und Befürwortung noch nicht seine faktische Richtigkeit, könnten es aber zumindest zu einem Kandidaten für die Diskussion machen. Doch selbst die substantiellen empirischen Belege führen nicht dazu, daß es als heuristische Möglichkeit, das Funktionieren der Medien zu untersuchen, wahrgenommen wird. Im Mainstream wird die Diskussion von einem engen, liberal-konservativen Spektrum dominiert, dessen eine Vertreter der Meinung sind, die Medien gingen in ihrer Ablehnung von Autorität zu weit, während die anderen sie für wahrhaft unabhängig und nur dem für das intellektuelle Leben Amerikas typischen »rauflustigen Geist der offenen Kontroverse« (Walter Goodman) verpflichtet halten. 10 Wenn doch einmal die Möglichkeit einer anderen Position in Rechnung gestellt wird, läßt sich an den Mißverständnissen und der dürftigen Argumentation ablesen, wie weit diese Konzeption von den Doktrinen der intellektuellen Herrschaftsschicht entfernt ist.
Die Bereitschaft, das Propaganda-Modell auch nur als Option für eine Medienanalyse zu betrachten, ist so selten, daß die wenigen Fälle, in denen es doch geschieht, eine kommentierende Antwort verdienen. Nicolas Lemanns Rezension von Manufacturing Consent ist einer dieser Fälle. 11 Allerdings sind seine Verweise nur selten präzise, er gibt Argumente verzerrt oder falsch wieder, und wenn es um Kontroversen über Tatsachen geht, beruft er sich zumeist auf »die Literatur« oder »allgemein bekannte Tatsachen«, was ihm als Widerlegung der Behauptungen, die er Edward Herman und mir unterstellt, ausreicht.
Schauen wir jedoch, was er eigentlich an dem von uns entwickelten Propaganda-Modell kritisiert. Wir würden, so sagt er, nicht schlüssig beweisen, daß die Presse »wissentlich falsche Informationen bringt und unangenehme Wahrheiten unterdrückt«. Da hat er natürlich recht, denn bei der empirischen Untersuchung läßt sich nichts in letzter Hinsicht beweisen. Vielmehr präsentiert man Beweismaterialien und versucht zu zeigen, daß sie auf Grundlage der vorgeschlagenen Hypothesen erklärt werden können. Ein Kritiker könnte dagegen den vernünftigen Einwand erheben, daß die Materialien fehlerhaft, schlecht ausgewählt oder sonstwie unzulänglich sind, oder daß es zur Erklärung der Tatsachen eine bessere Theorie gibt. Allerdings hat Lemann im Prinzip nichts gegen die Materialien einzuwenden, sondern scheint eine alternative Theorie vorzuschlagen. »Die großen Presseerzeugnisse«, so sagt er, »arbeiten auf einer sehr schmalen Basis von Voraussetzungen«, sie »konzentrieren sich auf nur wenige Themen gleichzeitig«, verlagern die Aufmerksamkeit »ziemlich unvorhersehbar von einem Land auf ein anderes« und gehen von dem aus, »was Herman und Chomsky in vernichtender Absicht patriotische Prämissen‹ nennen«. Er sagt jedoch nicht, wie diese Konzeption der Medien die von uns angeführten Tatsachen erklären kann. Mit einigem Spott weist er daraufhin, daß wir für die Berichterstattung über den Mord an Pater Popieluszko einerseits und über die Ermordung von 100 lateinamerikanischen Klerikern andererseits sogar konkrete Zahlen (und das auch noch in »tabellarischem Fachchinesisch«) anführen. Der Fall bestätigte unsere Hypothese (»die sich natürlich als richtig herausstellt«, wie er mit weiterem Spott vermerkt), aber was hat seine Theorie dazu zu sagen? Absolut nichts.
Als Edward Herman ihn in einem Brief dazu befragte, führte Lemann aus: »Pater Popieluszko wurde gerade zu dem Zeitpunkt getötet, als die US-Presse besonders stark auf Polen konzentriert war. Erzbischof Romero dagegen wurde umgebracht, noch bevor die Presse El Salvador im Visier hatte. Der Mord an Popieluszko war nicht wichtiger; vielmehr kann die Diskrepanz damit erklärt werden, daß die Presse sich zu einer bestimmten Zeit immer nur auf wenige Dinge konzentriert.« Abgesehen davon, daß dadurch noch nicht die Verschiedenheit der jeweiligen Berichterstattung erklärt ist, muß man nur eine ganz einfache Frage stellen: Wieviel Aufmerksamkeit widmeten die Medien El Salvador während der Ermordung von Romero und wieviel Polen während der Ermordung von Popieluszko? Die Untersuchung zeigt, daß die Aufmerksamkeit
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