Medicus 01 - Der Medicus
befahl Nitka. »Raus, raus!«
Er ging also in den Garten, blieb im Dunkeln stehen und lauschte den Geräuschen, die aus dem Haus drangen. Es war kühl und still; er dachte kurz an Vipern, die aus der Steinmauer krochen, und beschloß, sich nicht darum zu kümmern, aber schließlich fiel ihm ein, daß er sich um das Feuer kümmern mußte, also ging er wieder hinein, um nachzulegen.
Als er Mary ansah, waren ihre Knie weit gespreizt. »Jetzt werdet Ihr pressen«, befahl Nitka streng. »Arbeitet, meine Liebe. Arbeitet!«
Wie versteinert sah Rob den Scheitel des Neugeborenen zwischen den Schenkeln seiner Frau hervorkommen. Es erinnerte an den Kopf eines Mönchs mit einer nassen, roten Tonsur, und Rob flüchtete wieder in den Garten. Er blieb lange draußen, bis er ein dünnes Wimmern hörte, da kehrte er ins Zimmer zurück und sah das Kind.
»Wieder ein Junge«, verkündete Nitka fröhlich, während sie mit der Spitze ihres kleinen Fingers Schleimreste aus dem winzigen Mund entfernte. Die dicke, schleimige Nabelschnur sah im diesigen Licht des Morgengrauens blau aus.
»Es war viel leichter als das erste Mal«, meinte Mary. Nitka reinigte und tröstete sie und übergab Rob die Nachgeburt, um sie im Garten zu vergraben. Dann nahm die Hebamme die großzügige Bezahlung mit einem zufriedenen Nicken entgegen und ging nach Hause.
Als sie in ihrem Schlafzimmer allein waren, umarmten sie einander, dann verlangte Mary Wasser und taufte das Kind auf den Namen Thomas Scott Cole. Rob hob ihn hoch und untersuchte ihn: Er war ein wenig kleiner, als sein Bruder es gewesen war, aber kein Zwerg. Ein kräftiger, gesunder Knabe mit runden, braunen Augen und einem dunklen Haarbüschel das schon einen Schimmer vom roten Haar seiner Mutter aufwies. Rob kam aber zu dem Schluß, daß das Neugeborene durch die Augen und die Kopfform, durch den großen Mund und die langen, schmalen Finger viel Ähnlichkeit mit seinen Brüdern William Stewart und Jonathan Carter zeige. Es sei immer leicht, sagte er zu Mary, einen kleinen Cole zu erkennen.
Die Diagnose
Qasim Ibn Sahdi war seit zwei Monaten Totenwäscher, als der Schmerz in seinem Unterleib wieder auflebte.
»Wie ist er?« fragte ihn Rob.
»Er ist schlimm, Hakim.«
»Ist es ein dumpfer oder stechender Schmerz?«
»Er ist, als würde ein djinni in mir an den Eingeweiden reißen, drehen und zerren.«
Er hatte kein Fieber wie beim ersten Anfall, der ihn zum maristan geführt hatte, und sein Unterleib war diesmal auch nicht hart. Rob verordnete die häufige Einnahme eines Aufgusses aus Honig und Wein, den Qasim eifrig trank, denn er war ein Trinker, und die erzwungene religiöse Abstinenz hatte er immer als schmerzlich empfunden.
Qasim verbrachte mehrere angenehme Wochen in leicht berauschtem Zustand, während denen er untätig im Krankenhaus herumging und Ansichten und Meinungen austauschte. Die letzte Neuigkeit war, daß Imam Qandrasseh trotz seines offensichtlichen politischen und taktischen Sieges über den Schah die Stadt verlassen habe. Es hieß, daß Qandrasseh zu den Seldschuken geflüchtet sei und mit einer Invasionsarmee zurückkehren werde, um Alã abzusetzen und einen streng islamischen Eiferer - vielleicht sich selbst? - auf den persischen Thron zu setzen.
Der Schah lebte im Haus des Paradieses wie in einem Versteck. Er hielt keine Audienzen ab, und seit Karims Hinrichtung hatte Rob nichts mehr von ihm gehört. Rob wurde weder zu einer Lustbarkeit noch zur Jagd, noch zum Spiel oder zu Empfängen bei Hof eingeladen. Und wenn im Hause des Paradieses einmal anstelle des unpäßlichen Ibn Sina ein anderer Arzt gebraucht wurde, ließ man al-Juzjani kommen, aber niemals Rob.
Poch hatte der Schah ein Geschenk für den neuen Sohn geschickt. Es traf nach der hebräischen Namensgebung des Knaben ein. Diesmal wußte Rob Bescheid und lud die Nachbarn von sich aus ein. Das Kleine bekam in Wein getauchtes Brot, damit sein Schmerzgeschrei aufhörte, und auf hebräisch wurde erklärt, daß er Tarn, Sohn des Jesse, sei. Alã hatte kein Geschenk gesandt, als der kleine Rob James geboren wurde, doch nun schickte er einen schönen kleinen Teppich, hellblaue Wolle mit glänzenden Seidenfäden in der gleichen Farbe und mit dem Wappen der königlichen Samaniden-Familie in dunklerem Blau verziert.
Rob wurde in eine Prüfungskommission berufen. Er wußte, daß er Ibn Sina vertreten sollte, und er schämte sich, weil ihn jemand für anmaßend halten konnte, wenn er den Platz des Arztes aller Ärzte
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