Medicus 01 - Der Medicus
stellten Khendi eine Menge Fragen. »Euer Gnaden, ich bin Anführer der Treiber und kein hakim !« rief er verzweifelt. »Ich kann keine dieser Fragen beantworten. Ich weiß nur eines.«
»Und zwar?«
»Drei Tage nachdem sie ihn aufgeschnitten hatten, war der Sultan von Ghazna tot.«
Alã und Mahmud waren zwei junge Löwen gewesen. Beide waren früh als Nachfolger eines starken Vaters auf den Thron gekommen, und einer hatte den anderen im Auge behalten, denn sie wußten, daß sie eines Tages aneinandergeraten würden und daß Ghazna Persien oder Persien Ghazna verschlingen würde.
Doch dazu war es nie gekommen. Sie hatten einander vorsichtig umkreist, und gelegentlich hatten ihre Streitkräfte kleine Geplänkel ausgetragen, aber jeder hatte gewartet, weil er spürte, daß die Zeit für einen richtigen Krieg noch nicht gekommen war. Doch der Schah hatte oft von Mahmud geträumt. Immer war es der gleiche Traum, bei dem ihre Armeen zusammengezogen und kampfbegierig warteten und Alã allein auf Mahmuds wilde afghanische Stämme zuritt, um dem Sultan die Aufforderung zum Einzelkampf zuzurufen, so wie Ardashir einst Ardewan herausgefordert hatte, damit der Überlebende als wahrer, erwiesener König der Könige regieren konnte.
Nun hatte Allah eingegriffen, und der Shahansha würde Mahmud nie im Kampf gegenüberstehen. In den vier Tagen nach der Ankunft der Kamelkarawane kehrten drei erfahrene und verläßliche Spione einzeln nach Isfahan zurück. Sie verbrachten einige Zeit im Hause des Paradieses, und aus ihren Berichten gewann der Schah allmählich ein klares Bild über die Vorgänge in der Hauptstadt von Ghazna. Unmittelbar nach dem Tod des Sultans hatte Mahmuds Sohn Muhammad versucht, den Thron zu besteigen, war aber von seinem Bruder Abu Said Masũd daran gehindert worden, einem jungen Krieger, hinter dem das gesamte Heer stand. Innerhalb von Stunden war Muhammad ein gefesselter Gefangener, und Masũd war zum Sultan erklärt worden. Mahmuds Begräbnis wurde zu einem barbarischen Ereignis: teils ein grimmiger Abschied und teils eine wilde Feier. Als es zu Ende war, hatte Masũd seine Stammeshäuptlinge zusammengerufen und erklärt, daß er tun würde, was sein Vater nie getan hatte: Das Heer erfuhr, daß es schon in wenigen Tagen gegen Isfahan marschieren würde.
Das war eine Nachricht, die Alã endlich veranlaßte, das Haus des Paradieses zu verlassen.
Die geplante Invasion war ihm aus zwei Gründen nicht unwillkommen. Masũd war ungestüm und unerfahren, und Alã freute sich auf die Gelegenheit, seine Feldherrnkunst gegen die dieses unreifen Bürschchens auszuspielen.
Er hielt militärische Besprechungen ab, die zu kleinen Feiern wurden, mit Wein und Frauen, die zur richtigen Zeit erschienen, wie in alten Zeiten. Alã und seine Befehlshaber brüteten über ihren Karten und sahen, daß es von Ghazna nur eine Route nach Isfahan gab, die für eine große Streitmacht geeignet war. Masũd mußte die Lehmhügel und Vorberge nördlich der Dasht-i-Kavir überqueren und die große Wüste umgehen, bis sein Heer sich tief in Hamadhãn befand. Von dort würden sie sich nach Süden wenden.
Alã beschloß, daß sein Heer nach Hamadhãn marschieren und sich ihnen dort stellen sollte, bevor sie sich auf Isfahan stürzen konnten.
Die Vorbereitungen des Feldzugs Alãs waren der einzige Gesprächsstoff, dem man nicht einmal im maristan entgehen konnte, obwohl Rob es versuchte. Er dachte nicht an den bevorstehenden Krieg, weil er nicht an ihm teilnehmen wollte. Seine Schuld Alã gegenüber, so beträchtlich sie auch gewesen sein mochte, war bezahlt. Der Einsatz in Indien hatte ihn davon überzeugt, daß er nie wieder Soldat spielen wollte. Er machte sich also Sorgen und wartete auf eine königliche Aufforderung, die nicht kam.
Inzwischen arbeitete er schwer. Qasims Unterleibsschmerzen waren wieder verschwunden; zur Freude des ehemaligen Treibers verschrieb ihm Rob weiterhin eine tägliche Portion Wein, schickte ihn aber zu seinen Pflichten im Leichenhaus zurück. Rob sah sich mit mehr Patienten denn je konfrontiert, denn al-Juzjani hatte viele Aufgaben des Arztes aller Ärzte übernommen und einen Teil seiner Patienten Rob überantwortet.
Rob erfuhr zu seiner Verwunderung, daß Ibn Sina sich freiwillig als Leiter des Ärztekontingents gemeldet hatte, das Alãs Heer Richtung Norden begleiten sollte. Al-Juzjani, der seinen Groll überwunden hatte oder zumindest verbarg, berichtete es ihm. »Ein Frevel, eine solche
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