Medicus 01 - Der Medicus
einnahm. Aber er konnte nichts daran ändern, also tat er sein Bestes. Er bereitete sich für die Kommission vor, als wäre er ein Prüfling und kein Prüfer. Er stellte durchdachte Fragen, die nicht darauf abzielten, den Kandidaten in Verlegenheit, sondern sein Wissen zum Vorschein zu bringen, und er hörte sich die Antworten aufmerksam an. Die Kommission prüfte vier Kandidaten, drei von ihnen ernannte sie zu Ärzten. Der vierte war ein unangenehmer Fall. Gabri Beidhawi war seit fünf Jahren Medizinstudent. Er hatte schon zwei Prüfungen nicht bestanden, aber sein Vater war ein reicher, mächtiger Mann.
Rob hatte zusammen mit Beidhawi studiert und wußte, daß er ein fauler Taugenichts war, der die Kranken nachlässig und gleichgültig behandelte. Auch auf die dritte Prüfung hatte er sich schlecht vorbereitet. Rob wußte, wie sich Ibn Sina verhalten hätte. »Ich lehne den Kandidaten ab«, erklärte er entschieden und mit wenig Bedauern. Die anderen Prüfer stimmten ihm hastig zu, und die Sitzung wurde geschlossen.
Einige Tage nach der Prüfung kam Ibn Sina wieder in den maristan . »Willkommen im Krankenhaus, Meister!« rief Rob erfreut. Ibn Sina schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht zurück.« Er wirkte müde und abgespannt und eröffnete Rob, daß er zu einer Untersuchung gekommen sei, die al-Juzjani und er durchführen sollten. Sie saßen im Untersuchungsraum mit ihm beisammen und stellten seine Krankengeschichte zusammen, wie er es sie gelehrt hatte.
Er war daheim gewesen und hatte gehofft, seine Pflichten bald wieder aufnehmen zu können. Aber er hatte sich von dem doppelten Verlust, dem Abschied von Reza und dann von Despina, nicht erholt. Er sah immer schlechter aus und fühlte sich immer schlechter. Er war matt und schwach und kaum noch imstande, die einfachsten Aufgaben durchzuführen. Zuerst hatte er seine Symptome einer akuten Melancholie zugeschrieben.
»Wir wissen ja alle genau, daß der Geist dem Körper schrecklichen, seltsamen Schaden zufügen kann.«
Aber in letzter Zeit hatte sich sein Darm explosionsartig entleert, und der Stuhl war mit Schleim, Eiter und Blut vermengt. Das war der Grund, weshalb er diese ärztliche Untersuchung verlangte. Die beiden gingen so gründlich vor, als hätten sie nie wieder Gelegenheit, einen Menschen zu untersuchen. Sie übersahen nichts, und Ibn Sina ließ sie mit unendlicher Geduld drücken, klopfen, horchen und fragen.
Als sie fertig waren, sah al-Juzjani blaß aus, sein Gesicht aber verriet Zuversicht. »Es ist der blutige Ausfluß, Meister, verursacht durch die Belastungen Eures Gemüts.«
Robs Intuition wies dagegen in eine andere Richtung. Er sah seinen geliebten Lehrer an. »Ich glaube, es ist schirrt im Frühstadium.«
Ibn Sina blinzelte. »Darmkrebs?« fragte er so ruhig, als spräche er zu einem Patienten, den er noch nie gesehen hatte.
Rob nickte und versuchte, nicht an die langandauernden Qualen dieser Krankheit zu denken.
Al-Juzjani war rot vor Erregung, weil sein Urteil verworfen wurde, aber Ibn Sina beruhigte ihn. Deshalb hat er uns beide zugezogen, erkannte Rob, er hat gewußt, daß al-Juzjani vor lauter Liebe nicht imstande sein würde, die verhaßte Wahrheit zu erkennen. Robs Beine gaben nach. Er nahm Ibn Sinas Hände in die seinen, und sie blickten einander lange an. »Ihr seid noch stark, Meister. Ihr müsst Eure Gedärme offenhalten, um sie vor einer Stauung der schwarzen Galle zu schützen, die das Krebswachstum fördert.«
Der Arzt aller Ärzte nickte.
»Ich bete, daß meine Diagnose falsch ist«, fügte Rob hinzu. Ibn Sina schenkte ihm ein sanftes Lächeln. »Beten kann nie schaden.« Rob sagte, er würde ihn gern bald besuchen und einen Abend beim Spiel des Schahs mit ihm verbringen, worauf der alte Mann erklärte, Jesse ben Benjamin sei in seinem Haus immer willkommen.
Grüne Melonen
An einem trockenen, staubigen Tag gegen Ende des Sommers tauchte aus dem Dunst im Nordosten eine Karawane von hundertsechzehn Kamelen auf. Ein Mann namens Khendi, der oberste Treiber der Karawane, wurde in den Palast gerufen, um dem Schah persönlich die Einzelheiten seiner Nachrichten vorzutragen.
Vor mehreren Monaten war Mahmud, der Sultan von Ghazna, schwer erkrankt. Er hatte Fieber und so viel Eiter in der Brust, daß sich eine breite, weiche Schwellung auf seinem Rücken bildete. Sein Arzt hatte entschieden, daß der Eiter aus dieser Geschwulst abgezogen werden müsse, wenn Mahmud am Leben bleiben wolle.
Die anwesenden Höflinge
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