Medicus 01 - Der Medicus
dem Feuer und tat so, als gehöre das ganze Haus ihm. Als es einmal graupelte und der Wind durch die Spalten pfiff, verbrachte Editha die Nacht bei ihnen. Rob musste auf den Boden, wo er einen mit Tüchern umwickelten heißen Stein an sich drückte und Reste von dem Steifleinen der Näherin um die Füße wickelte. Er hörte ihre leise, freundliche Stimme: »Sollte der Junge nicht zu uns ins Bett kommen, wo es wärmer ist?«
»Nein«, erwiderte der Bader.
Kurz darauf, als der Mann knurrend auf ihr bockte, glitt ihre Hand in der Dunkelheit herab und blieb auf Robs Kopf leicht wie bei einer Segnung liegen.
Er rührte sich nicht. Als der Bader mit ihr fertig war, zog sie ihre Hand zurück. Danach wartete Rob, wenn sie in des Baders Haus schlief, stets im Dunkeln am Boden neben dem Bett, doch sie berührte ihn nie wieder.
»Du machst keine Fortschritte«, tadelte ihn der Bader. »Gib acht. Der Wert meines Lehrlings besteht darin, dass er die Menge unterhält. Mein Junge muss ein Jongleur sein.«
»Genügt es nicht, wenn ich mit vier Bällen jongliere?«
»Ein erstklassiger Jongleur kann sieben Bälle in der Luft halten. Ich kenne einige, die es zumindest mit sechs hinkriegen. Ich brauche nur einen gewöhnlichen Jongleur.
Aber wenn du es nicht einmal mit fünf Bällen schaffst, wird es bald mit uns aus sein.« Der Bader seufzte. »Ich hatte schon verschiedene Lehrjungen, und von allen waren nur drei es wert,- dass man sie behielt. Der erste war Evan Curry, der fünf Bälle sehr gut jonglieren konnte, aber er hatte eine Schwäche für den Alkohol. Er blieb nach seiner Lehrzeit vier einträgliche Jahre bei mir, bis er bei einer Rauferei unter Betrunkenen in Leicester erstochen wurde: ein lächerlicher Tod. Der zweite war Jason Earle. Er war geschickt, der beste Jongleur von allen. Er erlernte meinen Baderberuf, heiratete die Tochter des Vogts in Portsmouth und ließ sich von seinem Schwiegervater zu einem ehrenwerten Dieb und Kassierer von Bestechungsgeldern machen. Der vorletzte Junge war wunderbar. Er hieß Gibby Nelson. Er war mir unentbehrlich wie das tägliche Brot, erwischte aber in York ein Fieber und starb daran.« Er runzelte die Stirn. »Der letzte Junge war ein verdammter Dummkopf. Es ging ihm wie dir, er konnte mit vier Bällen jonglieren, aber mit dem fünften schaffte er es nicht, und ich habe ihn in London fortgejagt, kurz bevor ich auf dich gestoßen bin.« Sie blickten einander unglücklich an.
»Du bist kein Dummkopf. Du bist ein vielversprechender Kerl, man kommt mit dir gut aus, du verrichtest deine Arbeit schnell. Aber ich habe das Pferd und die Ausrüstung, dieses Haus und das Fleisch, das an seinen Dachsparren hängt, nicht damit erworben, dass ich mein Können Jungen beibringe, die ich nicht gebrauchen kann. Du bist im Frühjahr ein Jongleur, oder ich muss dich irgendwo zurücklassen. Verstehst du?«
»Ja, Bader.«
Die Weihnachtszeit war herangekommen, ohne dass sie es recht bemerkt hatten. Editha forderte sie auf, sie in die Kirche zu begleiten, und der Bader knurrte: »Sind wir denn eine verdammte Familie?« Aber er erhob keinen Einwand, als sie fragte, ob sie nur den Jungen mitnehmen könne.
Die kleine, ländliche, aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk erbaute Kirche war überfüllt und daher warm. Rob hatte, seit er London verlassen hatte, keine Kirche mehr betreten. Er atmete den Geruch von Weihrauch und die Menschenausdünstungen sehnsüchtig ein und versenkte sich in die Messe an diesem vertrauten Zufluchtsort.
Später predigte der Priester, der wegen seines Dartmoor-Dialekts nur schwer zu verstehen war, von der Geburt des Erlösers und von seinem segensreichen Erdenwallen, das endete, als er von den Juden gekreuzigt wurde, und er sprach ausführlich von dem gefallenen Engel Luzifer, mit dem Jesus zur Verteidigung der Menschen ewig kämpft. Rob suchte nach einem Heiligen für ein besonderes Gebet, wandte sich aber schließlich an die reinste Seele, die er sich vorstellen konnte. Gib acht auf die anderen, bitte, Ma! Mir geht es gut, aber hilf deinen jüngeren Kindern. Doch er konnte es nicht unterlassen, doch noch eine persönliche Bitte anzuschließen: Bitte, Ma, hilf mir, fünf Bälle zu jonglieren.
Von der Kirche gingen sie heim zu der gebratenen Gans, die sich auf des Baders Spieß drehte und mit Pflaumen und Zwiebeln gefüllt war. »Wenn ein Mann zu Weihnachten Gänsebraten isst, wird er das ganze Jahr hindurch Geld im Säckel haben«, behauptete der Bader. Editha lächelte.
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