Medicus 01 - Der Medicus
und er triumphierte, als hätte er einen kleinen Sieg errungen.
Manchmal blickte er auf, um Margaret Mary Cullens Rücken zu beobachten. Sie ritt dicht neben ihrem Vater, zweifellos auf seinen Wunsch, denn er hatte Simon seltsam angestarrt, als dieser auf den Wagen geklettert war.
Sie hielt sich sehr gerade und hatte den Kopf hoch erhoben, als hätte sie ihr Leben lang im Sattel gesessen.
Schon mittags hatte Rob seine Liste von Wörtern und Sätzen gelernt. »Fünfundzwanzig sind nicht genug. Du musst mir mehr aufgeben.« Simon lächelte und gab ihm weitere fünfzehn Wörter auf. Der Jude sprach wenig, und Rob gewöhnte sich an das Klick-klick-klick der Abakus-Perlen, die unter Simons Fingern hin und her sausten. Irgendwann am Nachmittag knurrte Simon, und Rob wusste, dass er in einer Rechnung einen Fehler entdeckt hatte. Das Hauptbuch enthielt offenbar Aufzeichnungen über sehr viele Transaktionen; Rob dämmerte, dass diese Männer ihrer Familie die Gewinne jener Handelskarawane brachten, die sie von Persien nach Deutschland geführt hatten; deshalb ließen sie auch ihr Lager nie unbewacht. Vor ihm in der Marschlinie befand sich Cullen, der einen beträchtlichen Betrag nach Anatolien brachte, um Schafe zu kaufen. Hinter ihm befanden sich die Juden, die bestimmt einen noch größeren Betrag bei sich hatten. Wenn Räuber eine solch reiche Beute witterten, würden sie ein Heer von Verbrechern aufstellen, und selbst eine so große Karawane wäre dann vor ihrem Angriff nicht sicher. Aber er kam nicht auf den Gedanken, die Karawane zu verlassen, denn allein zu reisen hätte bedeutet, den Tod herauszufordern. Also schlug er sich alle Bedenken aus dem Kopf, saß Tag um Tag mit verhängten Zügeln auf dem Kutschbock und hielt den Blick gleichsam für immer auf das Heilige Buch des Islam gerichtet.
Eine besondere Zeit folgte. Das Wetter hielt, der Himmel war so herbstlich, dass sein tiefes Blau Rob an Mary Cullens Augen erinnerte, die er jedoch nur selten zu sehen bekam, weil sie sich von ihm fernhielt - zweifellos auf Geheiß ihres Vaters.
Simon unterrichtete ihn eifrig, als müsse er ein Großkaufmann werden.
»Wie heißt die persische Gewichtseinheit?«
»Das man , Simon, ungefähr die Hälfte von einem englischen Stone.«
»Nennt mir die anderen Gewichte!«
»Ein ratel , der sechste Teil eines man. Das dirham , der fünfte Teil eines ratel . Das mescal , ein halbes dirham .
Das dũng , der sechste Teil eines tescal . Und das Gerstenkorn, ein Viertel eines dũng .«
»Sehr gut. Wirklich gut!« Wenn Rob nicht geprüft wurde, stellte er ununterbrochen Fragen.
»Bitte, Simon, wie heißt das Wort für Geld?«
» Ras .«
»Simon, würdest du so freundlich sein... was heißt dieser Ausdruck in dem Buch, sonab a cartet ?«
»Verdienst für das nächste Leben, das heißt im Paradies.«
»Simon...«
Simon stöhnte, und Rob wusste, dass er ihm lästig wurde, worauf er sich die Fragen verkniff, bis ihm eine äußerst dringende einfiel. Zweimal in der Woche besuchten sie Patienten. Simon übersetzte für ihn, schaute und hörte zu. Wenn Rob untersuchte und behandelte, war er der Fachmann, und Simon stellte die Fragen. Ein dümmlich grinsender fränkischer Treiber suchte den Baderchirurgen auf und klagte über Schwäche und Schmerzen in den Kniekehlen, in denen sich harte Knoten befanden. Rob gab ihm eine Salbe aus schmerzstillenden Krautern und Schafsfett und sagte ihm, er solle in zwei Wochen wiederkommen. Aber der Treiber stand schon nach einer Woche wieder vor ihnen. Diesmal berichtete er, dass er die gleichen Knoten in beiden Achselhöhlen habe. Rob gab ihm zwei Flaschen Umversal-Spezificum und schickte ihn weg. Als alle fort waren, wandte sich Simon an Rob. »Was ist mit dem großen Franken los?«
»Vielleicht werden die Knoten vergehen. Aber ich glaube es nicht. Er wird weitere Knoten bekommen, wenn er die Beulenpest hat. In diesem Fall muss er bald sterben.« Simon blinzelte. »Könnt Ihr nichts dagegen tun?« Rob schüttelte den Kopf. »Ich bin ein unwissender Baderchirurg. Vielleicht gibt es irgendwo einen großen Arzt, der ihm helfen könnte.«
»Ich könnte Eure Arbeit erst dann verrichten«, meinte Simon langsam, »wenn ich alles gelernt hätte, was es zu wissen gibt.« Rob sah ihn an, schwieg aber. Es erschreckte ihn, dass der junge Jude sofort und so klar erkannt hatte, wozu er so lange gebraucht hatte.
In dieser Nacht wurde er von Cullen rauh geweckt. »Beeilt Euch, Mann, um Christi willen«, sagte
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