Medicus 01 - Der Medicus
Hände des Treibers. »Sag ihm, dass er sterben wird.« Simon starrte ihn an. »Ist das Euer Ernst?«
»Ich lasse ihm sagen, dass er sterben wird.«
Simon schluckte und begann leise deutsch zu sprechen. Rob sah, wie das Lächeln aus dem großen, dummen Gesicht wich, dann riss der Franke seine Hände aus Robs Griff, hob die Rechte und ballte sie zur Faust. Er knurrte etwas.
»Er sagt, Ihr seiet ein verdammter Lügner«, erklärte Simon. Rob wartete ab und blickte dem Treiber dabei in die Augen. Schließlich spuckte ihm der Mann vor die Füße und trottete davon. Rob verkaufte zwei Männern, die rasselnd husteten, Spezificum, dann behandelte er einen wimmernden Magyaren mit einem ausgerenkten Daumen, der sich im Sattelgurt verfangen hatte, während sein Pferd sich bewegte.
Nach diesem Patienten verließ er Simon, er wollte von diesem Ort und diesen Leuten wegkommen. Die Teilnehmer der Karawane hatten sich verteilt; jeder hatte sich als Schutz gegen den Wind einen großen Felsblock gesucht, hinter dem er lagerte. Rob ging am letzten Wagen vorbei und erblickte Mary Cullen auf einem Felsen oberhalb der Straße.
Sie war wie losgelöst von der Erde. Sie hielt ihren schweren Schaffellmantel mit beiden Armen weit ausgebreitet, hatte den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen, als würde sie durch die Gewalt des Windes gereinigt, der sie wie strömendes Wasser heftig umtobte. Der Mantel blähte sich und flatterte. Ihr schwarzes Kleid klebte an ihrem langen Körper, betonte die vollen Brüste und festen Brustwarzen, den sanft gerundeten Bauch, den großen Nabel und die süße Spalte zwischen den starken Schenkeln. Eine seltsame, warme Zärtlichkeit erfüllte ihn, die bestimmt der Teil eines Zaubers war, denn sie sah wirklich aus wie eine Hexe. Ihr langes Haar flatterte hinter ihr wie rot züngelndes Feuer.
Er wollte nicht, dass sie sah, wie er sie beobachtete. Deshalb drehte er sich um, ehe sie die Augen öffnete, und ging fort.
An seinem Wagen angelangt, wurde Rob zu seinem Mißvergnügen klar, dass das Gefährt zu voll beladen war, als dass Gerson darin auf dem Bauch liegen konnte. Es ließ sich nur dadurch Platz für Gerson schaffen, dass er auf das Podium verzichtete. Er lud die drei Bänke aus, schaute sie lange an und dachte daran, wie oft der Bader und er auf dieser kleinen Bühne gestanden und ihr Publikum unterhalten hatten. Dann zuckte er mit den Achseln, ergriff einen großen Stein und zerschlug die Bänke zu Brennholz. Im Feuertopf lagen Kohlen, und er entfachte im Windschatten des Wagens ein Feuer. Während es immer dunkler wurde, schürte er mit den Trümmern des Podiums die Flammen.
Am zweiundzwanzigsten Oktober trieb der Wind harte, weiße Eiskristalle durch die Luft, die brannten, wenn sie auf die nackte Haut trafen. »Es ist zu früh für diese Kälte«, sagte Rob mürrisch zu Simon, der wieder auf dem Kutschbock saß, da Gersons Hinterbacke verheilt und dieser auf sein Pferd zurückgekehrt war.
»Nicht auf dem Balkan«, widersprach ihm Simon. Sie befanden sich in einem hoch gelegenen, zerklüfteten, mit Buchen, Eichen und Kiefern bestandenen Tal, dessen Hänge teilweise so nackt und felsig waren, als hätte eine zornige Gottheit einen Teil des Berges weggewischt. Tosende Wasserfälle, die in tiefe Schluchten stürzten, bildeten kleine Seen. Vater und Tochter Cullen vor ihm sahen in ihren langen Schaffellmänteln und Mützen wie Zwillinge aus, und er konnte sie nur deshalb unterscheiden, weil er wusste, dass die unförmige Gestalt auf dem Rappen Mary war.
Der Schnee blieb nicht liegen, und die Reisenden kämpften sich durch und kamen voran, aber Karl Fritta ging es nicht rasch genug. Er galoppierte die Marschlinie entlang und trieb zu größerer Eile an. »Irgend etwas hat Fritta eine Heidenangst eingejagt«, meinte Rob. Simon warf ihm rasch einen vorsichtigen Blick zu. »Er muss uns in die Stadt Gabrovo bringen, bevor die Schneefälle einsetzen. Über diese Berge hier führt der große Paß, der das >Tor zum Balkan< genannt wird, aber er ist schon geschlossen. Die Karawane wird in der Nähe des Zugangs in Gabrovo überwintern. In dieser Stadt gibt es Gast- und Privathäuser, die Reisende aufnehmen. Kein anderer Ort in der Nähe des Passes ist groß genug, um eine Karawane wie die unsere zu beherbergen.«
Rob nickte und erkannte seinen Vorteil. »Dann kann ich den ganzen Winter über Persisch studieren.«
»Ihr könnt das Buch nicht behalten«, stellte Simon richtig. »Wir bleiben nicht bei
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