Medicus 01 - Der Medicus
St.-Botolph-Schule, die er als Junge besucht hatte, hatte es drei Bücher gegeben: ein Altes und ein Neues Testament, beide lateinisch, und ein englisches Monatsregister, die Liste der heiligen Festtage, deren Einhaltung der König von England vorgeschrieben hatte. Die Seiten bestanden aus Pergament, das aus den Häuten von Lämmern, Kälbern oder Zicklein gewonnen wurde. Jeder Buchstabe war handschriftlich übertragen worden, eine gewaltige Arbeit, die Bücher teuer und selten machte.
Die Juden bewahrten mehrere Bücher - später erfuhr er, dass es sieben waren - in einer kleinen Truhe aus besonders bearbeitetem Leder auf. Simon nahm eines, das in Parsi geschrieben war, und die Lektion bestand darin, dass Rob jene Buchstaben in dem Text suchte, die Simon nannte. Rob hatte das Parsi-Alphabet schnell und gut gelernt. Simon lobte ihn und las einen Abschnitt des Buches, damit Rob den Wohlklang der Sprache hören konnte. Nach jedem Wort hielt er inne und ließ es von Rob wiederholen. »Wie heißt dieses Buch?«
»Es ist der Koran, ihre Bibel«, antwortete Simon und übersetzte:
Ehre sei Gott, dem Allerhöchsten, voller Gnade und Barmherzigkeit;
Er schuf alles, einschließlich des Menschen.
Dem Menschen gab Er einen besonderen Platz in Seiner Schöpfung.
Er erwies dem Menschen die Ehre, Sein Bevollmächtigter zu sein,
Und zu diesem Zweck schenkte Er ihm Verständnis,
Läuterte seine Neigungen und verlieh ihm geistige Einsicht.
»Ich werde Euch jeden Tag eine Liste von zehn persischen Wörtern und Ausdrücken geben«, sagte Simon. »Ihr müßt sie dann für die Lektion des nächsten Tages auswendig lernen.«
»Gib mir jeden Tag fünfundzwanzig Wörter«, verlangte Rob, denn er wusste, dass er seinen Lehrer nur bis Konstantinopel behalten würde. Simon lächelte. »Dann also fünfundzwanzig.«
Am nächsten Tag lernte Rob die Wörter mühelos, denn die Straße war noch immer gerade und eben, und die Stute trottete mit verhängten Zügeln dahin, während ihr Herr auf dem Kutschbock saß und übte. Rob fand jedoch, dass er jede Gelegenheit nutzen musste, und so bat er nach der Lektion dieses Tages Meier ben Ascher um die Erlaubnis, das persische Buch in seinen Wagen mitnehmen zu dürfen, damit er es während der langen, eintönigen Reisetage studieren könne. Meier lehnte entschieden ab. »Wir dürfen das Buch nie aus den Augen lassen. Ihr könnt es nur lesen, wenn wir dabei sind.«
»Darf dann Simon in meinem Wagen mitfahren?« Er war davon überzeugt, dass Meier wieder nein sagen würde, aber Simon setzte sich für ihn ein: »Ich könnte in dieser Zeit die Kontobücher prüfen.« Meier überlegte.
»Er wird lernen wie ein Verrückter«, meinte Simon ruhig. »Er hungert nach Wissen.«
Die Juden schauten Rob irgendwie anders an als bisher. Schließlich nickte Meier. »Ihr könnt das Buch in Euren Wagen mitnehmen.«
An diesem Abend schlief Rob mit dem Wunsch ein, es wäre schon morgen, und am Morgen erwachte er früh und beinahe schmerzhaft gespannt vor Erwartung. Das Warten wurde ihm lang, als er zusah, wie die Juden langsam Anstalten trafen, den Tag zu beginnen. Simon ging in den Wald, um Blase und Darm zu entleeren, Meier und Tuveh schlurften zur Quelle, um sich zu waschen, dann beugten sich alle vor und zurück und murmelten das Morgengebet. Schließlich trugen Gerson und Juda Brot und Schleimsuppe auf.
Kein Liebender hatte jemals sein Mädchen sehnsüchtiger erwartet.
»Komm, komm, du Schleicher, du hebräischer Tagedieb«, murmelte Rob und ging noch ein letztes Mal seine Tageslektion persischer Wörter durch.
Als Simon endlich kam, brachte er das persische Buch, ein schweres Hauptbuch und einen eigentümlichen Holzrahmen mit, in dem auf dünnen Stangen Glasperlen aufgereiht waren.
»Was ist das?«
»Ein Abakus. Ein Rechengerät, das beim Addieren gute Dienste leistet.«
Nachdem sich die Karawane in Bewegung gesetzt hatte, stellte sich heraus, dass die neue Regelung günstig war.
Obwohl die Straße relativ eben war, rollten die Wagenräder doch über viele Steine, und man konnte kaum schreiben; doch man konnte ohne Schwierigkeiten lesen, und sie machten sich an die Arbeit, während sie Meile um Meile durch das Land zogen.
Rob verstand das persische Buch noch nicht, aber Simon hatte ihm gesagt, er solle die Parsi-Buchstaben und -Wörter lesen, bis ihm die Aussprache keine Mühe mehr mache. Einmal stieß er auf einen Ausdruck, der auf Simons Liste stand, koc-homedij — Du kommst mit guter Absicht —,
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