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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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auch begeben.«
    Shaman nickte und folgte ihm aus dem Zimmer, vorbei an Brooke, der sich ein Taschentuch vor Mund und Nase hielt und ihn bedauernd anblickte.
    »Vale!« sagte Shaman. Leb wohl!
    Das Zimmer wurde ihm gekündigt. Da es nur noch drei Wochen bis zum Semesterende waren, gestattete ihm Professor Gardner, auf einem Feldbett in seinem Werkzeugschuppen zu schlafen. Aus Dankbarkeit grub Shaman ihm den Garten um und pflanzte ein Beet Kartoffeln an. Eine Schlange, die unter einigen Blumentöpfen hauste, erschreckte ihn, doch dann sah er, dass es nur eine kleine Milchschlange war, und sie kamen gut miteinander aus. Er erhielt ausgezeichnete Noten, aber auch einen versiegelten Brief, den er seinem Vater geben sollte. Zu Hause saß er dann im Arbeitszimmer und wartete, bis sein Vater das Schreiben gelesen hatte. Shaman wusste ziemlich genau, was in dem Brief stand. Dekan Hammond hatte ihm gesagt, die beiden Jahre auf dem College würden ihm natürlich für seine weitere Ausbildung angerechnet, er sei aber für ein Jahr suspendiert, um die für eine akademische Gemeinschaft nötige Reife zu erlangen. Wenn er zurückkehre, müsse er sich eine andere Unterkunft suchen.
    Sein Vater legte den Brief beiseite und sah ihn an. »Hast du aus diesem Abenteuer etwas gelernt?« »Ja, Pa«, antwortete Shaman. »Ein Hund ist innerlich einem Menschen überraschend ähnlich. Das Herz ist natürlich viel kleiner, nur etwa halb so groß, aber es hat fast genauso ausgesehen wie die menschlichen Herzen, die du mir bei deinen Obduktionen gezeigt hast. Es hatte die gleiche Mahagonifarbe.«
    »Nicht ganz Mahagoni...«
    »Na ja... rötlich.«
    »Ja, rötlich.«
    »Lunge und Gedärme sind ebenfalls sehr ähnlich. Nicht aber die Milz. Sie ist nicht rund und kompakt, sondern wie eine große Zunge, dreißig Zentimeter lang, fünf Zentimeter breit, zweieinhalb Zentimeter dick. Die Aorta war geplatzt. Daran ist die Hündin gestorben. Sie ist innerlich verblutet. In der Bauchhöhle habe ich jede Menge ausgetretenes Blut entdeckt.«
    Sein Vater sah ihn an.
    »Ich habe mir Notizen gemacht. Falls es dich interessiert, sie zu lesen.«
    »Das interessiert mich sehr«, sagte sein Vater nachdenklich.

Der Bewerber
    Nachts lag Shaman in dem Bett mit der Seilmatratze, die neu geknüpft werden musste, und starrte Wände an, die ihm so vertraut waren, dass er am unterschiedlichen Spiel der Sonne auf ihnen erkennen konnte, welche Jahreszeit es war. Sein Vater hatte vorgeschlagen, er solle die Zeit seiner Suspendierung zu Hause verbringen. »Da du ja jetzt schon einiges über Physiologie weißt, kannst du mir bei den Autopsien besonders gut helfen. Ein zweites Paar sicherer Hände könnte ich bei meinen Hausbesuchen auch gebrauchen. Und dazwischen«, sagte Rob J., »kannst du auf der Farm helfen.«
    Bald war es beinahe wieder so, als wäre er nie weggewesen. Doch zum erstenmal in seinem Leben war die Stille, die ihn umgab, eine Stille der bohrenden Einsamkeit.
    In diesem Jahr lernte er anhand der Leichen von Selbstmördern, Streunern und Armen und nicht aus Büchern die Kunst des Sezierens. In den Häusern der Kranken und Verletzten bereitete er die Instrumente und Verbände vor, und er beobachtete, wie sein Vater jede neue Situation meisterte. Er wusste, dass auch sein Vater ihn beobachtete, und er gab sich deshalb Mühe, immer aufmerksam zu sein und die Namen der Instrumente, Schienen und Kompressen zu lernen, damit er sie zur Hand hatte, noch bevor Rob J. nach ihnen fragte. Eines Vormittags, bei einer Pinkelpause im Flusswäldchen, sagte er seinem Vater, dass er nach seiner Suspendierung nicht ans Knox College zurückkehren, sondern Medizin studieren wolle. »Den Teufel wirst du«, sagte Rob J. Shaman spürte die Enttäuschung in sich aufsteigen, da er am Gesicht seines Vaters sah, dass der seine Meinung noch immer nicht geändert hatte.
    »Verstehst du denn nicht, Junge? Ich versuche doch nur, dich vor Kränkungen zu bewahren. Man sieht, dass du ein wirkliches Talent für die Naturwissenschaften hast. Mach das College fertig, und ich zahle dir die beste akademische Ausbildung, die es gibt, egal wo du hinwillst. Du kannst unterrichten, in die Forschung gehen... Ich glaube fest daran, dass aus dir etwas Großes wird.«
    Shaman schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Angst vor Kränkungen. Als ich klein war, hast du mir die Hände gefesselt und mir das Essen verweigert, bis ich meine Stimme gebraucht habe. Damals hast du versucht, das Beste aus mir

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