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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sofort ein Skalpell, als er nickte. Er war sich bewusst, dass die beiden Ärzte ihm bei seinen ersten Schnitten in die Brust sehr genau auf die Finger sahen. Dr. McGowan setzte selbst die Rippensäge an, und nachdem er das Brustbein entfernt hatte, beugte er sich über das Herz und hob es leicht an, damit Dr. Berwyn und Shaman die rundliche, verbrannt aussehende Schadstelle an der Wand von Mr. Herrenshaws Herzmuskel sehen konnten.
    »Da ist etwas, das Sie wissen sollten«, sagte Dr. Berwyn zu Shaman. »Manchmal tritt die tödliche Störung im Herzinneren auf, so dass sie an der Außenwand nicht feststellbar ist.« Shaman nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. McGowan wandte sich an Dr. Berwyn und sagte etwas, und Dr. Berwyn lachte. Dann sah Dr. McGowan Shaman an. Sein Gesicht erinnerte an faltiges Leder, und nun sah Shaman zum erstenmal, dass ein Lächeln es erhellte.
    »Ich habe zu ihm gesagt: >Gehen Sie, und bringen Sie mir mehr solche Taube!<« sagte Dr. McGowan.

In Cincinnati
    An jedem Tag in diesem schiefergrauen Frühling der nationalen Pein versammelte sich eine besorgte Menge vor der Redaktion der »Cincinnati Post«, um die Kriegsberichte zu lesen, die mit Kreide auf eine Tafel geschrieben waren. Präsident Lincoln hatte eine Blockade aller Häfen der Konföderierten durch die Kriegsmarine der Union angeordnet und alle Männer des Nordens gebeten, dem Ruf zur Fahne Folge zu leisten. Überall gab es Gerede über den Krieg und eine Unmenge von Spekulationen. General Winfield Scott, der Oberbefehlshaber der Unionsarmee, war ein Südstaatler, der die Union unterstützte, aber er war ein müder alter Mann. Ein Patient erzählte Shaman von dem Gerücht, Lincoln habe Robert E. Lee gebeten, den Befehl über die Armee zu übernehmen. Aber wenige Tage später berichteten die Zeitungen, dass Lee das Kommando wieder abgegeben habe, da er es vorzog, auf der Seite des Südens zu kämpfen.
    Noch vor Ende dieses Semesters hatten mehr als ein Dutzend Studenten, die meisten davon in akademischen Schwierigkeiten, die Medical School verlassen, um sich zu der einen oder anderen Armee zu melden. Zu ihnen gehörte auch Ruel Torrington, der zwei leere Schubladen hinterließ, in denen der Geruch ungewaschener Wäsche hing. Andere Studenten sprachen davon, das Semester zu beenden und dann zur Armee zu gehen. Im Mai berief Dr. Berwyn eine Studentenversammlung ein und erklärte, dass die Poliklinik in Erwägung gezogen habe, das Institut während des militärischen Notstands zu schließen, dann aber beschlossen habe, doch weiter zu unterrichten. Er bat die Studenten eindringlich, an der Medical School zu bleiben. »Sehr bald wird es einen Bedarf an Ärzten geben wie nie zuvor, sowohl in der Armee als auch für die Versorgung der Zivilbevölkerung.« Dr. Berwyn hatte schlechte Nachrichten. Da der Lehrkörper sein Gehalt aus den Schulgeldern bezog und die Studentenzahl zurückging, mussten die Gebühren erhöht werden. Für Shaman bedeutete das, dass er Mittel aufbringen musste, die nicht eingeplant waren. Doch nachdem ihm schon seine Taubheit nicht im Weg hatte stehen können, war er fest entschlossen, sich auch von einer solchen Kleinigkeit wie Geldproblemen nicht davon abhalten zu lassen, Arzt zu werden.
    Er und Paul Cooke wurden Freunde. In studentischen und medizinischen Dingen war Shaman der Ratgeber und Führer, in allen anderen übernahm Cooke die Leitung. Paul führte Shaman in Restaurants und ins Theater. Voller Ehrfurcht gingen sie in Pike’s Opera House, um Edwin Thomas Booth als Richard III. zu sehen. Das Opernhaus mit seinen drei Rängen hatte dreitausend Sitzplätze und weitere tausend Stehplätze. Auch von den Plätzen in der achten Reihe aus, die Cooke dem Kartenverkäufer abgeluchst hatte, wäre es Shaman nicht möglich gewesen, das Stück zu verstehen, doch er hatte im College alle Shakespeare-Dramen gelesen und überflog dieses Stück vor der Aufführung noch einmal. So war er mit der Handlung und den Dialogen vertraut, und er genoss den Abend sehr.
    An einem anderen Samstagabend führte Cooke ihn in ein Bordell, wo Shaman einer schweigsamen Frau in ihr Zimmer folgte und von ihr schnell abgefertigt wurde. Die Frau verlor die ganze Zeit über ihr starres Lächeln nicht und sagte kaum ein Wort. Danach verspürte Shaman nie mehr das Bedürfnis, in dieses Haus zurückzukehren, doch da er normal entwickelt und gesund war, stellte das sexuelle Verlangen manchmal ein Problem für ihn dar.
    Die Studenten hatten die

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