Medicus 02 - Der Schamane
Pflicht, als Sanitäter Dienst zu tun, und so fuhr Shaman eines Tages mit dem Krankenwagen zur P. L. Trent Candle Company, einer Kerzenfabrik, in der Frauen und Kinder arbeiteten, um einen dreizehnjährigen Jungen zu behandeln, dem kochendes Wachs die Beine verbrannt hatte. Als sie den Jungen ins Krankenhaus brachten, begleitete sie eine junge Frau mit pfirsichfarbener Haut und schwarzen Haaren, die auf einen Teil ihres Tageslohnes verzichtete, um bei dem Patienten, ihrem Cousin, sein zu können. Während der wöchentlichen Besuchszeit am Donnerstagabend sah Shaman sie wieder. Da auch andere Verwandte den verbrannten Jungen trösten wollten, war ihr Besuch nur kurz, und Shaman hatte Gelegenheit, mit ihr zu reden. Sie hieß Hazel Melville. Obwohl er es sich eigentlich nicht leisten konnte, lud er sie für den folgenden Sonntag zum Essen ein. Anfangs tat sie so, als sei sie entsetzt, doch dann lächelte sie zufrieden und nickte.
Sie wohnte, nicht weit vom Krankenhaus entfernt, im zweiten Stock eines Mietshauses, das dem Studentenwohnheim sehr ähnlich war. Ihre Mutter war tot. Shaman war befangen wegen seiner gutturalen Aussprache, denn ihr rotgesichtiger Vater, ein Gerichtsvollzieher, betrachtete ihn mit kaltem Argwohn, offensichtlich wusste er nicht so recht, was er von Hazels Verehrer halten sollte. Wenn es wärmer gewesen wäre, hätte er sie zu einer Bootsfahrt auf dem Fluss eingeladen. Vom Wasser her wehte ein kühler Wind, doch sie trugen Mäntel, und so wurde es ein angenehmer Spaziergang. Im schwächer werdenden Licht des Abends sahen sie sich Schaufenster an. Sie ist sehr hübsch, dachte er, bis auf die dünnen, strengen Lippen, von denen sich feine Linien dauernder Unzufriedenheit in ihre Mundwinkel gruben. Sie war entsetzt, als sie von seiner Taubheit erfuhr, und lächelte unsicher, als er ihr erklärte, wie er von den Lippen ablas. Trotzdem fand er es angenehm, mit einer Frau zu sprechen, die nicht krank oder verletzt war. Sie erzählte, dass sie seit einem Jahr Kerzen ziehe, sie hasse dies, aber es gebe ja kaum eine andere Arbeit für eine Frau. Ihre beiden älteren Cousins hätten für gutes Geld Arbeit bei Wells & Company gefunden, ergänzte sie verärgert. »Wells & Company hat von der Army von Indiana den Auftrag bekommen, zehntausend Fass Minie-Musketengeschosse zu gießen. Wenn die doch nur Frauen beschäftigen würden!«
Sie aßen in einem kleinen Restaurant, das Cooke ihm empfohlen hatte, weil es billig war und hell, so dass er ihre Lippen gut sehen konnte. Es schien ihr zu schmecken, allerdings ließ sie die Brötchen zurückgehen, weil sie nicht frisch seien, wie sie dem Kellner in scharfem Ton zu verstehen gab. Als sie in ihre Wohnung zurückkehrten, war ihr Vater nicht zu Hause. Sie machte es Shaman leicht, sie zu küssen, und ging bereitwillig darauf ein, so dass es ihm ganz natürlich erschien, sie durch die Kleider hindurch zu streicheln und sie schließlich auf dem unbequemen Fransensofa zu lieben. Aus Angst, ihr Vater könne zurückkommen, ließ sie das Licht an, und sie zog sich auch nicht aus, sondern schob nur Rock und Unterrock über die Taille hoch. Ihr weiblicher Geruch wurde überlagert vom Myrteduft des Paraffins, in das sie sechs Tage der Woche Dochte tauchte. Shaman nahm sie hart und schnell, ohne die geringste Freude dabei zu empfinden, beständig die Gefahr einer ärgerlichen Unterbrechung durch den Gerichtsvollzieher vor Augen. Er verspürte nicht mehr menschliche Nähe als bei der Frau im Bordell.
Danach dachte er sieben Wochen lang kein einziges Mal an Hazel. Doch eines Nachmittags regte sich wieder das vertraute Verlangen, und er ging in die Kerzenfabrik, um sie zu besuchen. Die Luft im Inneren war heiß vom Fettdampf und schwer vom konzentrierten Myrtenduft. Hazel Melville wurde wütend, als sie ihn sah. »Ich darf doch hier keinen Besuch haben! Willst du, dass sie mich entlassen?« Doch bevor er ging, sagte sie ihm noch schnell, dass sie sich nicht mehr mit ihm werde treffen können, denn in den Wochen, in denen er nichts hatte hören lassen, sei sie einem anderen Mann versprochen worden, einem, den sie schon lange kenne. Er habe einen gehobenen Beruf, er sei ein Buchhalter, sagte sie zu ihm und versuchte gar nicht, ihre Befriedigung zu verbergen.
Im Grunde genommen lenkte ihn sein körperliches Verlangen weniger ab, als er erwartet hatte. Er richtete alles - seine Sehnsucht und sein Verlangen, seine Hoffnungen und seine Glückserwartungen, seine Kraft und seine
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