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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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in die Mangel genommen«, erzählte Ordway weiter. »Unsere Vorposten stellten fest, dass, während die uns beschossen, eine Menge Konföderierte tief unter uns auf der anderen Seite der Straße im Wald verschwanden. Wir sahen hier und da Metall durch die Bäume blitzen. Das Kanonenfeuer dauerte noch eine Stunde oder länger, und wir bekamen einiges ab, aber wir waren die ganze Zeit über auf der Hut, weil wir wussten, dass sie angreifen wollten. Irgendwann am Nachmittag hörten ihre Kanonen auf zu schießen und unsere auch. Und dann schrie jemand: >Sie kommen !<, und fünfzehntausend Rebellenstrolche in grauer Uniform kamen aus dem Wald. Lees Jungs kamen Schulter an Schulter auf uns zu, Reihe hinter Reihe. Ihre Bajonette sahen aus wie ein langer Stahlzaun über ihren Köpfen, der in der Sonne glänzte. Man hörte keinen Kriegsschrei, sie kamen ohne ein Wort mit schnellen, entschlossenen Schritten auf uns zu.« Ordway legte eine kleine Pause ein.
    »Robert E. Lee hat uns schon oft den Arsch versohlt«, fuhr er dann fort, »und ich weiß, dass er ein gemeiner, hinterlistiger Hurensohn ist, aber hier in Gettysburg war er nicht hinterlistig. Wir trauten unseren Augen nicht, als die Rebellen da über offenes Gelände auf uns zukamen, wo wir doch auf der Anhöhe standen und sie uns schutzlos ausgeliefert waren. Wir wussten, dass sie in den Tod liefen - und sie müssen’s auch gewusst haben. Wir ließen sie fast eine Meile marschieren, ohne was zu tun. Colonel Symonds und die anderen Colonels entlang unserer Linie brüllten immer wieder: >Nicht schießen, nicht schießen! Lasst sie näher rankommen! Nicht schießen!< Und das müssen die Grauröcke auch gehört haben. Als sie so nahe waren, dass wir ihre Gesichter erkennen konnten, eröffnete unsere Artillerie auf dem Little Round Top und dem Cemetery Hill das Feuer, und viele von den Männern verschwanden einfach. Die, die übrig waren, kamen durch die Rauchwolken weiter auf uns zu. Schließlich schrie Colonel Symonds: >Feuer!<, und jeder von uns schoss einen Rebellen ab. Irgend jemand brüllte >Fredericksburg<, und dann schrien es plötzlich alle. >Fredericksburg! Fredericksburg! Fredericksburg!< Es wurde nur noch geschossen und geladen, geschossen und geladen, geschossen und geladen... Sie kamen nur an einer Stelle bis zu der Steinmauer am Fuß unseres Hügels, und die es schafften, kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, aber sie wurden alle getötet oder gefangengenommen«, schloss Ordway.
    Rob J. nickte: Das musste der Zeitpunkt gewesen sein, als das Triumphgeschrei losbrach. Wilcox und Ordway hatten die ganze Nacht Verwundete transportiert, und jetzt begleitete Rob J. sie durch den nach wie vor strömenden Regen. Als sie das Schlachtfeld erreichten, stellte er fest, dass der Regen ein wahrer Segen war, da er den Leichengestank etwas milderte, der trotzdem entsetzlich war. Überall aufgedunsene Leiber. Und inmitten dieser Hinterlassenschaft menschlicher Grausamkeit suchten die Retter nach Überlebenden. Den restlichen Vormittag arbeitete Rob J. im Regen, legte Kompressen auf und half, die Bahre tragen. Als sie die Verwundeten zu den Krankenhäusern brachten, sah er, warum seine Leute Eier zum Frühstück gehabt hatten: Überall wurden Mengen von Medikamenten und Narkosemitteln, Kompressen und Essen abgeladen. An den Operationstischen standen die Chirurgen in dreifacher Besetzung. Die dankbare Union hatte gehört, dass sie schließlich - wenn auch für einen schrecklichen Preis - doch noch einen Sieg errungen hatte, und beschlossen, bei denen, die das Inferno überlebt hatten, an nichts zu sparen.
    In der Nähe des Eisenbahndepots kam ein Zivilist auf Rob J. zu, der etwa in seinem Alter war und ihn höflich fragte, ob er wisse, wo die Möglichkeit bestehe, einen Soldaten einbalsamieren zu lassen. Der Mann stellte sich als Winfield S. Walker vor, Farmer aus Maryland. Als er von der Schlacht hörte, habe eine innere Stimme ihm befohlen, hierher zu kommen und seinen Sohn Peter zu suchen, und jetzt habe er ihn unter den Toten entdeckt. »Ich möchte ihn einbalsamieren lassen, damit ich ihn mit nach Hause nehmen kann, verstehen Sie?« Rob J. verstand. »Ich habe gehört, dass im Washington Hause Hotel Einbalsamierungen vorgenommen werden, Sir.« »Das stimmt, Sir. Aber dort sagte man mir, dass es schon eine ellenlange Warteliste gebe, und deshalb wollte ich mich nach einer anderen Möglichkeit umsehen.« Die Leiche seines Sohnes befand sich auf der Harold Farm, in einem

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