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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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gemacht hatte. In einem feuchten Raum im Keller standen, im gelben Licht mehrerer Lampen, zwei weitere Operationstische, und einen davon übernahm Rob J. Er zog seinen Rock aus und rollte seine Ärmel so weit hoch wie möglich, während ein Corporal der Ersten Kavallerie-Division einem Soldaten Chloroform verabreichte, dessen Hand eine Kanonenkugel weggerissen hatte. Sobald der Junge narkotisiert war, nahm Rob J. so viel des Arms ab, wie unbedingt erforderlich war, und ließ einen ausreichenden Hautlappen für den Stumpf stehen.
    »Der nächste!« rief er. Ein weiterer Patient wurde hereingetragen, und Rob J. vertiefte sich in seine Aufgabe. Der Keller maß etwa sechs auf zwölf Meter. Am zweiten Tisch arbeitete ebenfalls ein Chirurg, doch Rob J. und er sahen einander nur selten an und hatten sich nicht viel zu sagen. Im Laufe des Nachmittags wurde Rob J. klar, dass der andere gute Arbeit leistete, und auch er erhielt ein Lob von seinem Gegenüber. Dann konzentrierte sich jeder wieder auf seinen Tisch. Rob J. entfernte Geschosse und Metallsplitter, stopfte Eingeweide in Bäuche zurück, nähte Wunden zu und amputierte. Und amputierte immer wieder. Das Minie-Geschoss war ein Niedergeschwindigkeits-Projektil, das besonders viel Schaden anrichtete, wenn es einen Knochen traf. Riss es einen Knochen ab oder zertrümmerte es ihn, blieb dem Chirurgen nichts anderes übrig, als das Glied zu entfernen. Auf dem Lehmboden zwischen Rob J. und dem anderen Arzt wuchs ein wahrer Berg von Armen und Beinen. Von Zeit zu Zeit kamen Männer und schafften die Gliedmaßen weg. Nach vier oder fünf Stunden trat ein Colonel in grauer Uniform in den Kellerraum und eröffnete den beiden Ärzten, dass sie sich ab sofort als Gefangene zu betrachten hätten. »Wir sind bessere Soldaten als eure Leute. Wir haben die Stadt erobert. Eure Truppen sind nach Norden getrieben worden, und wir haben viertausend Mann gefangengenommen.« Dazu gab es nicht viel zu sagen. Der andere Chirurg warf Rob J. einen Blick zu und zuckte mit den Achseln. Rob J., der einen Patienten auf dem Tisch hatte, machte den Colonel darauf aufmerksam, dass er ihm im Licht stehe. Wann immer eine Pause eintrat, versuchte er, ein paar Minuten zu dösen - im Stehen. Aber es gab kaum Pausen. Die kämpfenden Armeen schliefen zwar nachts, doch die Ärzte arbeiteten durch und versuchten unermüdlich, die Männer zu retten, die auf dem Schlachtfeld zerfetzt worden waren. Der Keller hatte kein Fenster, und die Lampen brannten stets mit voller Leistung. Rob J. verlor jede Übersicht, ob Tag oder Nacht war. »Der nächste!« rief er. Der nächste! Der nächste! Der nächste!
    Es war eine Sisyphus-Arbeit, denn sobald er mit einem Patienten fertig war, wurde der nächste hereingebracht. Manche trugen zerrissene, blutdurchtränkte graue Uniformen und manche zerrissene, blutdurchtränkte blaue, und Rob erkannte bald, dass ein unerschöpflicher Nachschub zur Verfügung stand.
    Nicht so bei anderen Dingen. Nach kurzer Zeit gab es in dem Kirchenhospital keine Kompressen mehr und keine Lebensmittel. Der Colonel, der ihm erklärt hatte, die Südstaatler seien die besseren Soldaten, erklärte ihm nun, dass der Süden weder Chloroform noch Äther habe.
    »Ihr könnt ihnen weder Stiefel zur Verfügung stellen noch ein Mittel gegen ihre Schmerzen geben«, sagte Rob J. ohne Genugtuung. »Deshalb werdet ihr am Ende verlieren.« Und dann ersuchte er den Offizier, Alkohol zu beschaffen. Der Colonel entfernte sich tief beleidigt, schickte jedoch Whiskey für die Patienten und heiße Hühnerbrühe für die Ärzte, die Rob J. hinunterschüttete, ohne etwas zu schmecken.
    Da er keine Betäubungsmittel mehr hatte, holte er sich mehrere starke Männer, damit sie die Patienten festhielten, und dann operierte er so, wie er es in früheren Jahren getan hatte. Er schnitt, sägte, nähte so schnell und geschickt, wie William Fergusson es ihn gelehrt hatte. Die Opfer freilich schrien und versuchten, um sich zu schlagen. Er gähnte nicht, und obwohl er häufig blinzeln musste, blieben seine Augen offen. Er merkte, dass seine Füße und Knöchel schmerzhaft anschwollen, und manchmal, wenn ein Patient hinaus- und ein anderer hereingetragen wurde, rieb er sich mit der linken Hand die rechte. Jeder Fall war anders, doch da es nur begrenzte Möglichkeiten gibt, ein menschliches Wesen zu zerstören, erschienen ihm bald alle gleich, ob nun das Gesicht zerfetzt, die Genitalien abgeschossen oder die Augen getroffen waren.
    Die

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