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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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nordwestlich aus der Gegend des Chambersburg Pike herüberdonnerte.
    Gegen elf Uhr erhielt Colonel Symonds neue Befehle, und das 119. Regiment wurde eine halbe Meile über einen bewaldeten Hügelkamm zu einer Wiese auf einer Anhöhe östlich der Emmitsburg Road geführt. An sechs Vorposten der Union hatte es sich bewahrheitet, dass die neue Stellung sich näher am Feind befand: Sie lagen hingestreckt im Gras, als schliefen sie. Alle sechs waren barfuss: Die schlecht beschuhten Südstaatler hatten ihre Stiefel gestohlen.
    Symonds ließ erneut Brustwehre bauen und ersetzte die Posten. Auf Rob J.’s Bitte hin wurde am Waldrand ein langes, schmales Gerüst in Form eines Laubengangs aufgestellt und mit einem Dach aus Zweigen versehen, um den Verwundeten Schatten zu bieten, und vor diesem »Lazarett« stellte Rob J. seinen Operationstisch auf. Von Kundschaftern erfuhren sie, dass der erste Feuerwechsel beim Zusammenstoß von Kavallerieeinheiten erfolgt war. Im Laufe des Tages wurde der Schlachtenlärm immer lauter: ein ständiges, heiseres Bellen von abgefeuerten Musketen, das sich anhörte wie das Gekläff Tausender mordlüsterner Hunde, dazu dröhnender, nicht endender Kanonendonner. Jede noch so leichte Bewegung der heißen Luft traf sie ins Gesicht wie ein Schlag. Am frühen Nachmittag wurde das Regiment zum drittenmal an diesem Tag in Marsch gesetzt und in Richtung der Stadt, des Gefechtslärms, des Kanonengrollens und der weißgrauen Rauchwolken geführt. Rob J. kannte die Soldaten inzwischen gut und wusste, dass die meisten eine leichte Verwundung herbeisehnten, nicht mehr als einen Kratzer, der aber eine Narbe hinterließ, damit ihre Leute daheim sehen konnten, wieviel sie für den Sieg auf sich genommen hatten. Jetzt freilich waren sie auf dem Weg in ein Gebiet, wo Männer starben. Sie marschierten durch die Stadt und waren, als sie den Hügel erklommen, plötzlich von dem Lärm umgeben, den sie vorher nur von weitem gehört hatten. Mehrmals zischten Artilleriesalven über ihre Köpfe hinweg, und sie kamen an eingegrabener Infanterie und vier Geschützbatterien vorbei, die unablässig feuerten. Als sie oben waren und ihnen befohlen wurde anzuhalten, stellten sie fest, dass sie sich mitten auf einem großen Friedhofsgelände befanden, das dem Hügel seinen Namen gegeben hatte: Cemetery Hill. Rob J. baute gerade seine Geräte hinter einem imposanten Mausoleum auf, das sowohl Schutz als auch ein wenig Schatten spendete, als ein schweißüberströmter Colonel auf ihn zukam und nach dem Sanitätsoffizier fragte. Er stellte sich als Colonel Martin Nichols vom Medical Department vor und erklärte, er organisiere die medizinische Versorgung. »Haben Sie Erfahrung als Chirurg?« fragte er. Rob J. fand, dass jetzt keine Zeit für falsche Bescheidenheit sei. »Ja, habe ich. Eine recht umfassende sogar«, antwortete er.
    »Dann brauche ich Sie im Lazarett, wo schwere Fälle zum Operieren hingebracht werden.« »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich lieber bei meinem Regiment bleiben, Colonel.« »Es macht mir aber etwas aus, Doktor! Es macht mir sogar sehr viel aus! Ich habe ein paar gute Ärzte, aber auch einige junge, unerfahrene Burschen, die lebensentscheidende Eingriffe durchführen und dabei ein schreckliches Gemetzel anrichten. Sie amputieren Gliedmaßen, ohne Hautlappen überstehen zu lassen, und manche lassen die Knochenenden zentimeterweit aus dem Fleisch ragen. Sie wagen Experimente, die ein erfahrener Arzt niemals machen würde, schneiden Oberarme am Ansatz weg und trennen Hüft- und Schultergelenke ab. Sie fabrizieren unnötigerweise Krüppel, die für den Rest ihres Lebens unter entsetzlichen Schmerzen leiden werden. Hören Sie, Doc: Sie nehmen den Platz eines dieser Möchtegernchirurgen ein, den ich dafür hierher schicke, damit er Verwundeten Kompressen auflegt.« Rob J. nickte. Er unterrichtete Ordway davon, dass dieser bis zur Ankunft eines anderen Arztes die Leitung der Sanitätsstation zu übernehmen habe, und folgte Colonel Nichols den Hügel hinunter.
    Das Lazarett befand sich in der Stadt, in der katholischen Kirche, die, wie Rob J. las, Franz von Assisi geweiht war. Er wollte nicht vergessen, dies Miriam Ferocia zu erzählen. In der Vorhalle war ein Operationstisch aufgestellt worden. Die beiden Flügel des Portals standen weit offen, damit der Chirurg möglichst viel Licht bekam. Das Gestühl war mit Brettern überdeckt worden, auf denen man aus Stroh und Decken Betten für die Verwundeten

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