Medicus 02 - Der Schamane
dasselbe sein würde wie früher. Alle, denen er begegnete, verhielten sich kalt ihm gegenüber. Mr. Barnard lächelte und plauderte nicht mehr, wenn er in seinen Laden kam, und er merkte, dass Leute auf der Straße ihn ansahen und dann die Köpfe zusammensteckten. Die allgemeine Feindseligkeit zerrte an seinen Nerven. Major Poole hatte gleich zu Anfang den Colt konfisziert, und Shaman und Alex fühlten sich schutzlos. Nachts ging Shaman mit dem Schürhaken und einem Küchenmesser ins Bett, lag dann wach und versuchte, die Schwingungen eines Eindringlings zu erspüren, dabei war es nur der Wind, der am Haus rüttelte. Nach drei Wochen hatte Alex Gewicht zugelegt. Er sah jetzt besser aus, konnte es aber kaum mehr erwarten, wegzukommen, und so waren sie beide erleichtert, als Poole sie endlich wissen ließ, dass sie abreisen könnten. Shaman hatte Alex Zivilkleidung gekauft. Er half ihm beim Anziehen und steckte ihm das linke Hosenbein hoch, damit es ihn nicht störte. Alex versuchte, mit Hilfe seiner Krücken zu gehen, hatte aber Schwierigkeiten. »Ich komme mir ganz einseitig vor, weil jetzt so viel von dem Bein weg ist«, sagte er, doch Shaman erwiderte, er werde sich daran gewöhnen. Bei Barnard kaufte Shaman einen großen Laib Käse und legte ihn als Entschädigung für Mrs. Clay auf den Tisch. Mit dem Mietstallbesitzer hatte er vereinbart, Pferd und Wagen am Bahnhof zurückzugeben, und deshalb konnte Alex auf Stroh gebettet dorthinfahren, so wie er zuvor das Gefangenenlager verlassen hatte. Als der Zug hielt, trug Shaman Alex auf den Armen in ein Abteil und setzte ihn auf einen Fensterplatz, während die anderen Reisenden sie angafften oder verlegen wegsahen. Die beiden sprachen kaum etwas, doch als der Zug anfuhr und Elmira verließ, legte Alex seinem Bruder die Hand auf den Arm.
Sie fuhren auf einer nördlicheren Route nach Hause als auf der, die Shaman nach Elmira geführt hatte. Shaman zog es vor, über Chicago anstatt über Cairo zu reisen, denn er glaubte nicht, dass der Mississippi bei ihrer Ankunft in Illinois schon eisfrei sein würde. Es war eine beschwerliche Reise. Das unaufhörliche Rütteln der Waggons bereitete Alex starke Schmerzen. Unterwegs mussten sie häufig umsteigen, und jedesmal musste Shaman seinen Bruder auf den Armen von einem Zug zum anderen tragen. Außerdem waren die Züge fast nie pünktlich. Mehrmals wurde der Zug, in dem sie fuhren, auf einem Nebengleis abgestellt, um einen Truppentransport vorbeizulassen. Einmal schaffte es Shaman, für etwa fünfzig Meilen Polstersessel in einem Salonwagen zu ergattern, doch meistens saßen sie auf den harten Holzbänken der gewöhnlichen Abteile. Als sie Erie in Pennsylvania erreichten, hatte Alex weiße Flecken in den Mundwinkeln, und Shaman wusste, dass sein Bruder nicht mehr Weiterreisen konnte. Er mietete ein Hotelzimmer, damit Alex sich eine Weile in einem weichen Bett ausruhen könnte. Beim Verbandwechseln an diesem Abend begann er, Alex einiges von dem zu erzählen, was er aus dem Tagebuch seines Vaters erfahren hatte.
Er berichtete ihm von dem Schicksal der drei Männer, die Makwa-ikwa vergewaltigt und ermordet hatten. »Ich glaube, es war meine Schuld, dass Henry Korff hinter uns her war. Damals in dem Asyl in Chicago, in dem David Goodnow verwahrt wird, habe ich zuviel über die Mörder gesagt. Ich habe nach dem Supreme Order of the Star-Spangled Banner gefragt, und nach Hank Cough, und ich habe wohl den Eindruck hinterlassen, als wäre ich hinter ihnen her. Wahrscheinlich war einer vom Personal ein Mitglied des Geheimbunds, vielleicht mehrere. Zweifellos hat man Korff gewarnt, und der hat beschlossen, uns zu beseitigen.«
Alex schwieg einen Augenblick und sah dann seinen Bruder mit besorgtem Gesicht an. »Aber Shaman... Korff wusste, wo er uns suchen musste. Das bedeutet, jemand in Holden’s Crossing muss ihm verraten haben, dass du nach Elmira abgereist bist.«
Shaman nickte. »Das geht mir auch schon lange im Kopf herum«, sagte er leise.
Eine Woche nachdem sie Elmira verlassen hatten, erreichten sie Chicago. Shaman schickte seiner Mutter ein Telegramm und teilte ihr mit, dass er Alex nach Hause bringe. Er verheimlichte ihr nicht, dass Alex ein Bein verloren hatte, und bat sie, sie vom Bahnhof abzuholen. Als der Zug mit einer Stunde Verspätung in Rock Island einlief, wartete Sarah mit Doug Penfield am Bahnsteig. Shaman trug Alex die Waggonstufen hinunter, und Sarah warf die Arme um ihren Sohn und weinte wortlos.
»Lass mich
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