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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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windgeschützt zwischen den Bäumen. Die Sauks waren warm gekleidet. Überall waren noch Spuren des Reservats zu sehen, denn neben den traditionellen Tierhäuten und -feilen trugen die Indianer abgelegte Kleidungsstücke von Weißen, und in einigen der Zelte standen Munitionskisten der Armee. Die Indianer hatten genug trockenes Holz für ihre Feuer, und aus den Abzugslöchern der Tipis stiegen graue Rauchfahnen in die Höhe. Doch Rob J. entging die Gier nicht, mit der viele Hände nach den drei mageren Hasen griffen, und er wusste, was die spitzen Gesichter bedeuteten, denn er hatte schon genug Hungernde gesehen. Der Verletzte wurde in eins der Tipis getragen, und Rob J. folgte ihm. »Spricht jemand Englisch?«
    »Ich spreche deine Sprache.« Sein Alter war schwer zu bestimmen, denn der Sprecher trug das gleiche unförmige Fellbündel wie alle anderen und auf dem Kopf eine Kapuze aus grauem Eichhörnchenpelz, aber es war die Stimme einer Frau.
    »Ich kann dem Mann helfen. Ich bin Arzt. Weißt du, was ein Arzt ist?« »Ich weiß es.« Ihre braunen Augen sahen ihn unter den Pelzfalten hervor gelassen an. Sie sagte kurz etwas in ihrer Sprache, und die anderen im Zelt traten zurück und sahen ihm zu. Rob J. nahm ein paar Äste aus dem Holzstapel und schürte das Feuer. Als er den Mann aus seiner Kleidung schälte, sah er, dass die Hüfte innerlich verdreht war. Er hob die Knie des Indianers an, bis sie ganz abgewinkelt waren, und sorgte dann mit Hilfe der Frau dafür, dass kräftige Hände den Mann am Boden festhielten. Er bückte sich und schob seine rechte Schulter unter das Knie der verletzten Seite. Dann drückte er mit aller Kraft nach oben, und mit einem deutlich hörbaren Schnappen sprang die Gelenkkugel in die Pfanne zurück. Der Indianer lag da wie tot. Während der ganzen Prozedur hatte er kaum einmal aufgestöhnt, und Rob J. glaubte, dass er einen Schluck Whiskey mit Laudanum verdient habe. Doch beides war in seiner Satteltasche, und bevor er es holen konnte, hatte die Frau Wasser in eine Kürbisflasche gegossen, es mit einem Pulver aus einem kleinen Rehlederbeutel vermischt und es dem Mann gegeben, der es gierig trank. Sie legte ihre Hände auf die Hüfte des Mannes, sah ihm in die Augen und begann einen murmelnden Singsang in ihrer Sprache. Als Rob J. sie so sah und hörte, bekam er eine Gänsehaut. Er erkannte, dass sie die Medizinfrau des Stammes war. Oder vielleicht auch eine Art Priesterin.
    In diesem Augenblick übermannten ihn nach der schlaflosen Nacht und dem Kampf gegen den Schnee die Müdigkeit, und er wankte benommen aus dem schwach erleuchteten Tipi hinaus, wo eine Menge schneebestäubter Sauks wartete. Ein triefäugiger alter Mann berührte ihn ehrfürchtig. »Cawso wabeskiou!« sagte er, und andere nahmen den Ruf auf: »Cawso wabeskiou!«.
    Die Priester-Ärztin kam aus dem Tipi. Die Kapuze glitt ihr vom Kopf, und er sah, dass sie nicht alt war. »Was rufen die Leute?«
    »Sie nennen dich einen weißen Schamanen«, erwiderte sie.

    Von der Medizinfrau erfuhr er, dass der verletzte Mann - aus Gründen, die ihm sofort einsichtig waren – Waucau-che, Adlernase, hieß. Den großen Indianer nannten sie Pyawanegawa, Der singend einhergeht. Als Rob J. zu seiner Blockhütte zurückritt, traf er Pyawanegawa und zwei andere Sauks, die gleich nach Waucau-ches Ankunft im Lager zu dem Pferdekadaver zurückgeritten sein mussten, um das Fleisch zu holen, bevor die Wölfe es taten. Sie hatten das tote Tier zerteilt und brachten die Fleischstücke auf zwei Packpferden zurück. Sie ritten hintereinander an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, fast so, als wäre er ein Baum. Nach Hause zurückgekehrt, schrieb Rob J. sein Erlebnis in sein Tagebuch und versuchte, die Frau nach dem Gedächtnis zu zeichnen. Doch sosehr er sich auch anstrengte, er brachte nicht mehr zusammen als ein typisches Indianergesicht ohne Geschlecht und vom Hunger gezeichnet. Er brauchte Schlaf, aber seine Strohmatratze reizte ihn nicht. Er wusste, dass Gus Schroeder getrocknete Maiskolben zu verkaufen hatte, und Alden hatte erwähnt, dass auch Paul Gruber einen Teil seines Saatgetreides verkaufe. Er bestieg Meg und führte Monica mit sich, und noch an diesem Nachmittag kehrte er mit zwei Sack Mais und je einem mit gelben Kohlrüben und Weizen in das Lager der Sauks zurück.
    Die Medizinfrau dankte nicht. Sie sah die Säcke mit den Lebensmitteln nur an, bellte einige Befehle, und schon zogen eifrige Hände die Lebensmittel in die

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