Medicus 02 - Der Schamane
Falke von dem Massaker am Bad Axe erfahren hatten, waren sie mutlos geworden. Sie wollten nicht, dass unter ihrer Führung noch mehr Sauks starben, und stellten sich deshalb freiwillig dem Indianerbevollmächtigten in Prairie du Chien. In Fort Crawford wurden sie einem jungen Army Lieutenant namens Jefferson Davis übergeben, der die beiden Gefangenen den Mississippi hinab nach St. Louis brachte. Den ganzen Winter über waren sie in eine Baracke eingesperrt, wo sie die Demütigung von Kette und Eisenkugel über sich ergehen lassen mussten. Im Frühjahr wollte der Große Vater in Washington seinen Bleichgesichtern zeigen, wie vollständig ihre Armee den Stamm besiegt hatte, und er befahl deshalb, die beiden Gefangenen in verschiedene amerikanische Städte zu bringen. Zum erstenmal sahen sie Eisenbahnen, und sie fuhren dann mit nach Washington, New York, Albany und Detroit. Und überall liefen die Massen zusammen wie Büffelherden, um diese Kuriositäten anzustarren: die geschlagenen »Indianerhäuptlinge«. Weiße Wolke sah riesige Siedlungen, großartige Gebäude und furchteinflößende Maschinen, dazu unzählige Amerikaner. Als man ihm dann erlaubte, nach Prophetstown zurückzukehren, musste er sich die bittere Wahrheit eingestehen: Die mookamonik ließen sich nie mehr vom Land der Sauks vertreiben. Die Indianer würden immer weiter zurückgedrängt werden, weg vom guten Farmland und von den reichen Jagdgründen. Seine Kinder, die Sauks, die Mesquakies und die Winnebagos, mussten sich an eine grausame Welt gewöhnen, die vom weißen Mann dominiert wurde. Das Problem war nun nicht mehr, wie man die Weißen am besten davonjagte. Der Schamane dachte vielmehr über die Frage nach, wie sein Volk sich, um zu überleben, verändern könnte, ohne seine Manitus und seine Medizin aufzugeben. Er war alt und würde bald sterben, und so hatte er begonnen, sich nach jemandem umzusehen, an den er das weitergeben könnte, was er war, nach einem Gefäß, in das er die Seele der Algonquin-Stämme gießen konnte. Doch er fand niemanden - bis dieses Mädchen kam. All das erklärte er Zwei Himmel, während sie an dem geheiligten Ort auf dem Hügel saßen und er die günstigen Vorzeichen im Kadaver des Hasen studierte, der allmählich zu stinken begann. Danach fragte er sie, ob sie es auf sich nehmen werde, dass er eine Medizinfrau aus ihr machte.
Zwei Himmel war noch ein Kind, doch sie wusste schon genug, um es mit der Angst zu bekommen. Es gab so viel, das sie nicht verstehen konnte, doch sie begriff, was wichtig war. »Ich will es versuchen«, sagte sie flüsternd zu dem Propheten.
Weiße Wolke schickte Mond, Gelber Vogel und Rauchfrau zu Keo-kuks Sauks, aber Zwei Himmel blieb in Prophetstown und lebte in seiner Hütte wie eine Lieblingstochter. Er zeigte ihr Blätter und Wurzeln und Rinden und erklärte ihr, welche davon die Seele aus dem Körper lösten und ihr gestatteten, mit den Manitus zu reden, welche man zum Lederfärben verwendete und welche zur Kriegsbemalung taugten, welche getrocknet und welche eingeweicht werden sollten, welche man aufkochen musste und welche als Breiumschlag verwendet wurden, welche in Aufwärts- und welche in Abwärtsrichtung gestrichen werden mussten, welche die Verdauung anregten und welche sie hemmten, welche fiebersenkend und welche schmerzstillend wirkten, welche heilen und welche töten konnten.
Zwei Himmel hörte ihm aufmerksam zu. Als der Prophet sie nach vier Jahreszeiten prüfte, war er zufrieden. Er habe sie jetzt durch das erste Zelt der Weisheit geführt, sagte er.
Bevor sie das zweite Zelt der Weisheit durchschritten hatte, erging es ihr zum erstenmal nach Art der Frauen. Eine der Nichten von Weißer Wolke zeigte ihr, was sie tun musste, und von da an verbrachte sie jeden Monat die Tage, an denen ihre Vagina blutete, im Frauenhaus. Der Prophet erklärte ihr, dass sie keine Zeremonie durchführen und keine Kranken oder Verletzten behandeln dürfe, bevor sie sich nicht nach ihrer Monatsblutung im Schwitzhaus gereinigt habe. In den folgenden vier Jahren lernte sie, die Manitus mit Trommeln und Gesängen herbeizurufen, Hunde auf verschiedene zeremonielle Arten zu schlachten und sie für ein rituelles Mahl zuzubereiten, sowie mit Sängern und nur summenden Musikern die geheiligten Tänze einzustudieren. Sie lernte, die Zukunft in den Organen eines getöteten Tieres zu lesen. Und sie lernte die Macht der Täuschung. Wie man die Krankheit aus einem Körper heraussaugte und sie als kleinen
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