Medicus 02 - Der Schamane
Proviantkorb mitgegeben, der für ein siebentägiges Hochzeitsmahl ausgereicht hätte, und sie labten sich an kaltem Hühnchen und Apfelküchlein. Sie aßen schnell, denn die Aufregung hatte sie erfasst, das bunte Treiben der Menge, ihr Geschrei und ihre Gespräche. Dann nahmen sie den kleinen Jungen in die Mitte und schlenderten durch den Versammlungsort. Es waren eigentlich zwei Erweckungstreffen in einem, denn es herrschte ein ununterbrochener religiöser Wettstreit zwischen Methodisten und Baptisten, deren Prediger miteinander konkurrierten. Eine Zeitlang hörten sie einem Baptisten auf einer Lichtung des Wäldchens zu. Sein Name war Charles Prentiss Willard, und er schrie und zeterte so, dass Sarah erschauerte. Er warnte sie, dass Gott namentlich in Seinem Buch festhalte, wer des ewigen Lebens und wer des ewigen Todes teilhaftig werde. Was einen Sünder zum ewigen Tod verurteile, sagte er, sei ein unmoralisches und unchristliches Verhalten, und er nannte Beispiele: Ehebruch, das Erschießen eines christlichen Bruders, Schlägereien und Fluchen, Whiskeytrinken und das Hervorbringen illegitimer Brut. Rob J. sah düster drein, und Sarah war zittrig und blass, als sie wieder auf die Prärie hinaustraten, um einem Methodisten zuzuhören, der Arthur Johnson hieß. Er war bei weitem kein so wortgewaltiger Redner wie Mr. Willard, aber er sagte, dass die Rettung für jeden möglich sei, der Gutes tue, seine Sünden beichte und Gott um Vergebung bitte. Sarah nickte, als Rob J. sie fragte, ob sie nicht auch glaube, dass Mr. Johnson der Richtige für die Trauung sei. Mr. Johnson war erfreut, als Rob J. sich nach der Predigt an ihn wandte. Er beabsichtigte, die beiden vor der versammelten Gemeinde zu trauen, doch weder Rob J. noch Sarah wollten der allgemeinen Unterhaltung dienlich sein. Für drei Dollar war er einverstanden, sie etwa eine Meile außerhalb der Stadt am Ufer des Mississippi zu trauen. Dort angekommen, nahmen sie unter einem Baum Aufstellung, der kleine Junge saß daneben am Boden und sah zu, und eine sanfte, dicke Frau, die Mr. Johnson als Schwester Jane vorstellte, fungierte als Trauzeugin. »Ich habe einen Ring«, sagte Rob J. und holte das Schmuckstück aus der Tasche. Sarah riss die Augen auf, denn vom Ehering seiner Mutter hatte er ihr nichts erzählt. Ihre langen Finger waren sehr schmal, und der Ring erwies sich als zu weit. Sie hatte ihre gelben Haare mit einem dunkelblauen Band zusammengebunden, das Alma Schroeder ihr geschenkt hatte und das sie jetzt abnahm. Sie schüttelte die Haare, bis sie locker ihr Gesicht umspielten, und sagte, sie werde den Ring an dem Band um den Hals tragen, bis sie ihn enger machen lassen könne. Sie drückte Rob J. fest die Hand, während Mr. Johnson mit langjähriger Routiniertheit die Zeremonie vollzog. Rob J. wiederholte die Worte mit einer Stimme, deren Heiserkeit ihn selbst überraschte. Sarahs Stimme bebte, und sie sah beinahe ungläubig aus, so, als könne das alles eigentlich gar nicht wahr sein. Nach der Zeremonie, als sie sich anhaltend küssten, versuchte Mr. Johnson, sie zu überreden, zum Erweckungstreffen zurückzukehren, da bei den Abendversammlungen die meisten Seelen errettet würden. Aber sie dankten ihm, verabschiedeten sich und machten sich auf den Heimweg. Der kleine Junge wurde bald übellaunig und quengelig, aber Sarah sang ihm fröhliche Lieder vor und erzählte ihm Geschichten, und sooft Rob J. das Pferd anhielt, nahm sie Alex vom Wagen und hüpfte und rannte mit ihm umher. Sie aßen früh zu Abend, es gab Almas Rindfleisch- und Nierenpastetchen, Früchtekuchen mit Zuckerguss sowie frisches Quellwasser, und danach überlegten sie in Ruhe, welche Unterkunft sie sich für die Nacht suchen sollten. Ein paar Stunden entfernt gab es einen Gasthof, und Sarah freute sich offensichtlich auf eine Übernachtung dort, denn für so etwas hatte sie noch nie Geld gehabt. Als ihr aber Rob J. von den Wanzen und der allgemeinen Unsauberkeit in solchen Etablissements erzählte, stimmte sie sofort seinem Vorschlag zu, dieselbe Scheune aufzusuchen, in der sie in der vergangenen Nacht geschlafen hatten. Sie erreichten sie bei Einbruch der Dämmerung. Der Farmer nahm sie bereitwillig wieder auf, und sie kletterten beinahe mit dem Gefühl, als würden sie nach Hause zurückkehren, hinauf in das warme Dunkel. Erschöpft von der Anstrengung und weil er unterwegs zuwenig geschlafen hatte, fiel Alex sofort in einen tiefen Schlaf. Nachdem sie ihn gut zugedeckt hatten,
Weitere Kostenlose Bücher