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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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einer Farmersfrau ritt, die im Sterben lag, kam zu Hause in seiner Hütte seine Frau nieder. Makwa-ikwa steckte Sarah das Beißholz zwischen die Zähne, band ein Seil an der Tür fest und gab ihr das verknotete Ende in die Hand, damit sie daran ziehen konnte. Es dauerte Stunden, bis Rob J. seinen Kampf gegen die brandigen Wundrosen verlor - wie er später Oliver Wendeil Holmes in einem Brief berichten sollte, war die tödliche Krankheit Folge einer vernachlässigten Verletzung am Finger, die sich die Frau beim Saatkartoffelstecken zugezogen hatte -, doch als er nach Hause zurückkehrte, war sein Kind noch immer nicht geboren. Die Augen Sarahs funkelten wild. »Es reißt mir den Körper auseinander. Mach, dass es aufhört, du Saukerl!« fauchte sie ihn an, kaum dass er durch die Tür trat. Als Holmes’ gelehriger Schüler schrubbte er seine Hände, bis sie rot waren, bevor er sich seiner Frau näherte. Nachdem er sie untersucht hatte, nahm er Makwa-ikwa zur Seite. »Das Kind kommt sehr langsam«, sagte sie. »Das Kind kommt mit den Füßen zuerst.«
    Ihr Blick verschattete sich, doch sie nickte und kehrte zu Sarah zurück. Die Wehen ließen nicht nach. Mitten in der Nacht zwang er sich, Sarahs Hände in die seinen zu nehmen, denn er fürchtete sich vor dem, was sie ihm sagen mochten. »Was ist?« fragte sie mit belegter Stimme. Er spürte ihre Lebenskraft, wenn auch vermindert, doch unauslöschlich in ihr verwurzelt. Er flüsterte ihr Liebesworte zu, doch sie hatte zu starke Schmerzen, um auf Worte oder Küsse zu reagieren. Es dauerte und dauerte. Sie stöhnte und schrie. Er ertappte sich dabei, wie er betete, doch dann bekam er es mit der Angst zu tun, weil er, ungläubig wie er war, von Gott nichts verlangen konnte, und er fühlte sich zugleich arrogant und heuchlerisch: Wenn ich unrecht habe und Du existierst, dann bestrafe mich, aber bitte nicht, indem Du dieser Frau etwas tust. Oder diesem Kind, das sich so abmüht, in die Welt zu kommen, fügte er hastig hinzu. Kurz vor Tagesanbruch zeigten sich kleine, rote Extremitäten, große Füße für ein Neugeborenes mit der richtigen Anzahl Zehen. Rob flüsterte aufmunternd, erzählte dem Kleinen, dass das ganze Leben ein Kampf sei. Zentimeter um Zentimeter schoben sich Beine heraus, strampelnde, lebendige Beine, wie er erfreut feststellte. Dann der süße kleine Penis eines Jungen. Hände, die richtige Anzahl Finger. Ein gut entwickeltes Baby. Doch die Schultern steckten fest, er musste Sarah schneiden, ihr noch mehr Schmerzen zufügen. Das kleine Gesicht drückte gegen die Scheidenwand. Aus Angst, der Junge könne im mütterlichen Fleisch ersticken, schob er zwei Finger hinein und dehnte den Geburtskanal, bis das entrüstet blickende kleine Gesicht in das Chaos des Lebens plumpste und sofort einen dünnen Schrei ausstieß.
    Mit zitternden Händen band er die Nabelschnur ab, durchtrennte sie und nähte dann seine schluchzende Frau. Als er ihr schließlich über den Bauch strich, damit die Gebärmutter sich zusammenziehe, hatte Makwa-ikwa den Kleinen bereits gewaschen, gewickelt und der Mutter an die Brust gelegt. Dreiundzwanzig schwere Stunden hatten die Wehen gedauert, und jetzt schlief Sarah lange und wie eine Tote. Er hielt ihre Hand fest in den seinen, bis sie die Augen wieder aufschlug. »Gute Arbeit!« sagte er.
    »Er ist so groß wie ein Büffel. Ungefähr so groß, wie Alex war«, erwiderte sie heiser. Als Rob J. ihn wog, zeigte die Waage sieben Pfund und vierhundertvierzig Gramm. »Ein gutes bairn?« fragte sie, musterte sein Gesicht und grinste, als er sagte, es sei ein Teufelsbraten. »Ein verflucht gutes bairn.«
    Dann brachte er seine Lippen an ihr Ohr. »Weißt du noch, was du mich gestern genannt hast?« flüsterte er. »Was denn?«
    »Einen Saukerl.«
    »Nie!« rief sie entsetzt und wütend und wollte fast eine Stunde lang nicht mehr mit ihm reden. Robert Jefferson Cole, so nannten sie den Jungen, weil in der Cole-Familie jeder erstgeborene Junge den Taufnamen Robert erhielt und einen zweiten Namen, der mit J begann. In Robs Augen war der dritte amerikanische Präsident ein Genie gewesen, und Sarah sah in dem Namen Jefferson eine Verbindung zu Virginia. Sie hatte befürchtet, dass Alex eifersüchtig sein werde, aber der ältere Junge zeigte nichts anderes als Faszination. Er war nie weiter als ein oder zwei Schritte von seinem Bruder entfernt und passte immer auf ihn auf. Von Anfang an machte er deutlich, dass sie getrost das Baby pflegen, ihm die

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