Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
Vom Netzwerk:
regelmäßig gefüttert wurden, wirkten sie sehr ausgehungert. Das lag wohl daran, dass sich ihre Zahl in letzter Zeit stark erhöht hatte. Zwar starben unzählige von ihnen an der Pest, aber erstens zeugten sie selbst unter diesen Bedingungen eifrig Nachwuchs. Und zweitens hatte Wolfhart mitbekommen, dass es zu den Aufgaben der Zwillinge gehörte, an allen möglichen Stellen in der sogenannten Unterwelt Rattenfallen aufzustellen, in denen die Tiere lebend in Käfigen gefangen wurden. So war auch dann für Nachschub gesorgt, wenn die Seuche zu heftig unter den Tieren wütete. Niemals, so hatte es Cagliari allen seinen Helfern eingeschärft, durfte der Kreislauf der Infektion unterbrochen werden und die Seuche unter den Ratten im Gewölbe enden. Denn wie hätte man sonst das innere Wesen des Feindes erforschen können?
    Der eine Zwilling flämmte in seinem Übermut eine der langsamsten Ratten mit seiner Fackel an. Sie kreischte, während das Fell Feuer fing, zumal auch noch etwas brennendes Pech auf sie herabtropfte.
    Wolfhart gehörte inzwischen schon lange genug zu Cagliaris Gehilfen, um die Lust der beiden Zwillinge an der Qual der Ratten bemerkt zu haben. Es war ihnen eine große Freude, sie mit einer Fackel zu traktieren oder die langsamsten und schon von der Seuche gezeichneten zu packen und ihnen mit einem beherzten Griff alle Knochen zu brechen. Das quietschende Schreien der Ratten mischte sich mit dem dumpfen Glucksen und Kichern der beiden Schwachsinnigen. Ganz besonders freuten sie sich, wenn sich andere Ratten anschließend um die halbtote Kreatur balgten.
    Manchmal traten die beiden aber auch einfach nur mit den Füßen nach den schwarzen, langschwänzigen Nagern oder reizten sie, indem sie ihnen die Küchenabfälle entgegenhielten und dann wieder zurückzogen, bis die Tiere halb wahnsinnig wurden.
    »Diese Narren!«, dröhnte Cagliari und eilte zum Fenster. Er trommelte so stark gegen die Glasscheibe, dass Wolfhart schon fürchtete, sie könnte aus ihrem Bett aus Erdpech herausbrechen. »Hört auf, ihr Teufelsdiener!«, rief der Pestarzt so laut, dass der Lärm auf der anderen Seite des Fensters zweifellos übertönt wurde.
    Während die brennende Ratte unter ihren davonstiebenden Artgenossen noch zusätzliche Panik verbreitete, erstarrten die Zwillinge augenblicklich. Mit ihren Schnabelmasken sahen sie wie Höllendiener auf einem Freskogemälde aus.
    »Ich war immer dagegen, diese Schwachsinnigen mit anderen Dingen zu betrauen als mit dem Schleppen von Kisten und Kübeln!«, konnte sich Darenius einen Kommentar nicht verkneifen.
    »Ja, die Welt ist ja auch voll von Helfern, die nichts anderes vom Leben erwarten, als ein paar pestverseuchte Ratten in einem Gewölbe regelmäßig zu füttern!«, konterte Cagliari.
    Er wartete ab, bis die Zwillinge das Rattengewölbe durch einen separaten Ausgang verlassen und sich die Lage dort wieder einigermaßen beruhigt hatte. Der Brand des Rattenfells erstarb schließlich und ließ nur noch eine Fahne aus dunklem Rauch aufsteigen. Die Ratte selbst lebte aber wohl schon nicht mehr.
    »Eines Tages wird die Seuche die beiden holen, wenn sie weiter so unvorsichtig sind«, meinte Wolfhart.
    Seine eigene Stimme war ihm fremd, wenn er mit aufgesetzter Schnabelmaske sprach. Der Klang war so dumpf und schien ein Teil seiner Menschlichkeit eingebüßt zu haben. Wolfhart erschrak bei diesem Gedanken. Aber schließlich geschah all das zu einem guten Zweck, beruhigte er sich. Und gehörte es nicht zu den wichtigsten Tugenden eines Medicus und Heilkundigen, sich auch dem Unappetitlichen und Abstoßenden zu stellen? Der Schwarze Tod mochte ein mächtiger, unheimlicher, unberechenbarer Feind sein, aber noch viel schlimmer als er war die Furcht vor ihm. Und vermutlich fielen dieser Furcht sogar mehr Menschen zum Opfer als der Krankheit selbst.
    »Die beiden Narren wären nicht die Ersten, denen es so ergeht«, meinte Cagliari und deutete auf den ausgestreckt daliegenden Körper von Mauro della Croce. »Er hier war deutlich vorsichtiger, und der Schwarze Tod hat ihn trotzdem geholt. Und nicht nur das! Vielleicht hat della Croce ihn sogar zurück in die Stadt getragen! Aber davon werden wir dann sicherlich bald erfahren.«
    »Ist eigentlich wirklich ausgeschlossen, dass sich die Ratten aus dem Gewölbe befreien können?«
    »Wir tun alles, was wir können, um so etwas zu verhindern, junger Medicus«, sagte Cagliari.
    »Es heißt, dass Ratten sich durch die winzigsten Spalten zu zwängen

Weitere Kostenlose Bücher