Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
Vom Netzwerk:
heran, und niemand wagte es, ihn daran zu hindern. Er deckte den Toten wieder zu. »Timon ist immer etwas zu schnell für mich«, erklärte er. »Aber ich wüsste nicht, welchen Grund es geben sollte, ihn und seinen Karren anzuhalten.«
    »Er ist ein Gezeichneter«, sagte einer von Thomás’ Männern und spuckte vor Timon aus, was dieser mit einem drohenden Knurren erwiderte. Der Entstellte hatte inzwischen die Arme frei, und seine gewaltigen Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Er trug nach Bauernart ein hakenförmig zulaufendes Langmesser an der Seite. In der Hand eines so kräftigen Mannes war das gewiss eine Waffe, die genauso gefährlich wie ein Schwert sein konnte.
    »Dieses Teufelsgesicht sollte man aus der Stadt jagen!«, meinte Thomás.
    »Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!«, rief Darenius. »Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden! So steht es in der Heiligen Schrift! Und jetzt lasst uns ziehen, damit wir unser Werk tun können.«
    »Und was wollt Ihr mit diesem Leichnam?«, ereiferte sich Thomás.
    »Ihn untersuchen«, erklärte Wolfhart ruhig.
    »Er hat die Pest, nicht wahr?«, meinte Davide.
    »Ja, aber er starb schon vor geraumer Zeit«, behauptete Darenius. »Wir fanden ihn in den Trümmern eines ausgeräucherten Pesthauses. Nicht alle Toten der letzten Epidemie, die es hier in Pera gegeben hat, sind auf dem Acker vor der Stadt verscharrt worden, wie es sich gehört. Ihr braucht Euch also nicht zu fürchten. Es ist kein neuer Fall, der Euch dazu veranlassen müsste, Pera fluchtartig zu verlassen.«
    »Ist das wahr?«, fragte Maria an Wolfhart gewandt.
    »Ja«, sagte er knapp.
    »Und wie kommt es, dass er so unversehrt ist?«
    »Das liegt vielleicht an dem durchdringenden Geruch der Öle, mit denen sein Körper eingerieben wurde und die einem jetzt noch den Schleim aus der Nase treiben, selbst wenn man ein paar Schritte von dem Toten entfernt ist.«
    Maria erinnerte sich an den Geruch der Tücher, mit denen sich Medicus Cagliari, offenbar als Schutz vor einer Ansteckung, umschlungen hatte. Einen Geruch, der sich für immer in Marias Gedächtnis eingebrannt hatte. Es mochte also stimmen, was der Mann in Mönchskluft gesagt hatte.
    »Wir müssen weiter«, sagte Darenius. »Und es liegt an allen hier Anwesenden, ob sie dieses Ereignis zum Anlass nehmen wollen, eine unnötige Panik auszulösen, oder ob sie in aller Besonnenheit darüber zu schweigen bereit sind.« Daraufhin legte der entstellte Timon das Geschirr wieder an und zog den Wagen voran. Thomás’ Männer wichen zur Seite. Keiner von ihnen hatte ein Interesse daran, dem Pesttoten zu nahe zu kommen. So groß war ihr Mut dann offenbar nun auch wieder nicht.
    Bevor Wolfhart ihnen folgte, wandte er sich noch kurz an Maria. »Ich hoffe, dass ich dir eines Tages mehr dazu sagen kann!«, murmelte er.
    Während Maria Wolfhart noch nachsah, ergriff Davide das Wort und sprach zu den Männern. »Kein Wort von dem, was ihr hier gesehen habt! Zu niemandem! Sonst könnte es noch einmal Wochen dauern, bis wir damit anfangen können, das Haus wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen! Hat mich jeder verstanden?«
    Ein etwas unwilliges Gemurmel war die Antwort. Aber es gab keine Zweifel daran, dass diese Männer tun würden, was Davide von ihnen verlangte.

Fünfzehntes Kapitel

    In der Kammern des Schwarzen Todes
    Wolfhart hatte einen Anzug aus Krokodilleder angelegt und sämtliche Öffnungen sorgfältig verschlossen. Nichts durfte in den Anzug eindringen können, keine Körpersäfte von verseuchten Toten und kein Rattenfloh. Wolfhart hatte die Worte seines Meister-Medicus noch im Ohr. »Unglücklicherweise müssen wir atmen, sodass wir uns nicht völlig einhüllen können«, hatte Fausto Cagliari ihm gesagt, als Wolfhart zum ersten Mal einen dieser Anzüge anprobiert hatte, die vom Medicus selbst entworfen und mithilfe eines Schneidermeisters angefertigt worden waren. Keinen Geringeren als Silvestre Sarto hatte er dafür gewinnen können, was verdeutlichte, wie wichtig die Arbeit des Pestarztes Kaiser Johannes gewesen war. Die Schnabelmaske lag auf einem grob gezimmerten Tisch aus grau gewordenem Holz. Fackeln hingen an den Wänden und erfüllten den Raum mit ihrem unruhigen Licht. Von irgendwoher kam hier unten in den Verliesen des Pest-Medicus immer ein Luftzug. Mit einiger Mühe hatte Wolfhart die Handstücke des Anzugs übergestreift. Der Mann, der ihn vor ihm getragen hatte, lebte nicht

Weitere Kostenlose Bücher