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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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verstehen.«
    »Deswegen haben wir all diejenigen, die wir finden konnten, verschlossen. Und die beiden Türen, die den Vorraum des Rattengewölbes abriegeln und von denen immer nur eine zur selben Zeit geöffnet werden darf, tun ein Übriges. Das Türholz kratzt so dicht über den Boden, dass man viel Kraft braucht, um sie zu schließen, aber so könnte es nicht einmal einem ihrer Jungen gelingen, sich durch den Türspalt zu zwängen.«
    »Warum sollten sie auch?«, meinte Darenius. »Schließlich werden sie hier doch gefüttert. Manchen Menschen in der Stadt geht es schlechter als diesen Ratten hier!«
    Cagliari lachte rau. »Und von der Pest werden die Menschen auch geholt!«, meinte er.
    Die klirrende Kälte in diesen Worten ließ Wolfhart für einen Moment erstarren. Er hatte diese mitleidlose Art schon ein ums andere Mal an dem von ihm so bewunderten Medicus bemerkt, und inzwischen musste er zugeben, dass sie ihn abstieß. Er konnte nichts gegen diese Empfindung tun, und es half auch nichts, wenn er sich vor Augen hielt, dass ein mitleidlos-kalter Blick vielleicht die Voraussetzung dafür war, sich ihrer Aufgabe stellen zu können. Wie konnte man Medicus sein, wenn man zu sehr mit dem Kranken mitlitt und deshalb keine klaren Gedanken und Entscheidungen mehr fassen konnte? So ähnlich hatte sich schon der Magister Munsonius in Erfurt in einer seiner Vorlesungen geäußert, und Wolfhart hätte ihm seinerzeit auch gar nicht widersprechen mögen.
    Aber bei Fausto Cagliari schien diese innere Kälte ein Maß erreicht zu haben, dem Wolfhart bisher einfach noch nicht begegnet war; und er fragte sich zunehmend, ob sie tatsächlich noch der Sache diente.
    »Lazaros, das Messer!«, verlangte Cagliari. Der Hinkende gab dem Medicus ein frisch gewetztes Messer von halbmondartiger Form. Die Klinge glitt in eine der besonders großen Beulen, die sich unter der Achselhöhle hervorwölbte. Eine Flüssigkeit trat aus, die Darenius mithilfe eines Tiegels auffing. Darunter bettete er ein Tuch, das eventuell daneben tropfende Reste aufzufangen hatte.
    »Seht genau zu, Wolfhart Brookinger!«, verlangte Cagliari. »Denn Ihr werdet die nächste Beule selbst aufschneiden.«
    »Ich hoffe nur, dass meine Hand so ruhig wie die Eure ist!«
    Cagliari trieb das Messer tiefer in das Fleisch des Toten hinein und vergrößerte den Schnitt. »Wir suchen das innerste Wesen des Schwarzen Todes, Wolfhart! Das werdet Ihr ja wohl inzwischen begriffen haben.«
    »Es liegt nahe, diese Substanz in den Beulen zu suchen!«
    »In den Beulen, im Schweiß, der in die Kleidung gezogen ist, im blutigen Auswurf der Lunge … und in den Flöhen, die die Ratten bevölkern und die auf die Menschen springen! Diese Substanz ist überall und nirgends. Wir wissen, dass sie da ist, aber wir konnten sie bisher nicht isolieren und in ein Konzentrat bringen!«
    »Warum wollt Ihr das?«, fragte Wolfhart, während eine schleimige, eitrige Flüssigkeit aus der Beule in den Tiegel hineinquoll, woraufhin die Beule rasch an Volumen verlor.
    »Weil man seinem Feind ins Auge sehen muss, Wolfhart. Wenn Euch der Gedanke daran eine zu große Furcht erzeugt, so solltet Ihr darüber nachdenken, ob Ihr hier am richtigen Ort seid. Aber zögert nicht zu lange.«
    »Womit?«
    Lazaros brachte den gefüllten Tiegel fort, stellte ihn auf einen anderen Tisch und verschloss ihn mit einem Deckel. Schließlich konnte man ja nicht ausschließen, dass diese eitrige Substanz krankmachende Gase absonderte.
    Cagliari richtete sich wieder vollständig auf. »Ich spreche von Eurer endgültigen Entscheidung, Wolfhart.«
    »Endgültigen?«, echote der Kaufmannssohn aus Lübeck. Er hatte sich seine Lehrzeit bei Medicus Cagliari bisher anders vorgestellt. »Das klingt ja fast so, als müsste ich in eine Art Orden eintreten. Und ich dachte, gerade Meister Darenius hat davon die Nase voll!«
    »Es geht um Geheimnisse, die gewahrt werden müssen«, sagte Cagliari. »Wir müssen sicher sein, dass Ihr mit den Dingen, die Ihr hier und jetzt erfahrt, nicht hausieren geht.«
    »Aber sollte sich nicht jede Erkenntnis, die es über den Schwarzen Tod gibt, so schnell und so weit wie möglich verbreiten?«
    »Im Prinzip habt Ihr Recht, Wolfhart. Aber so weit sind wir noch nicht. Bei einer unbedachten Weitergabe der Erkenntnisse liefen wir Gefahr, der Ketzerei angeklagt zu werden. Es könnte jemand behaupten, wir seien mit dem Satan im Bund, und schon wären wir alle wohl nicht einmal mehr in der Lage, uns selbst zu

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