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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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Also sollten wir dem Herrn für jeden Tag danken, der uns bleibt.«
    »Du scheinst dir viele Gedanken zu machen, Seriféa. Mehr, als ich dir zugetraut hatte.«
    Tage waren in Abgeschiedenheit dahingegangen. Abgesehen von Seriféa suchte Davide sie fast jeden Tag auf. Es gab viele Dinge für das Handelshaus zu entscheiden, und manche waren von einer dermaßen großen Tragweite, dass Davide sich der Zustimmung der Erben sicher sein wollte. In dem letzten Willen, den Luca di Lorenzo lange vor seinem Ableben zu Papier in Anwesenheit seiner Kinder sowie Davide Scrittores und Pater Matteos schriftlich niedergelegt hatte, war unter anderem auch festgelegt worden, dass Davide für seine langjährigen treuen Dienste einige Anteile an dem Handelshaus erbte. Anteile, die ihn zum Zünglein an der Waage machten und ihm, falls es zwischen den Erben zum Zerwürfnis käme, die ausschlaggebende Stimme gaben. Maria hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, da Davides Loyalität dem Haus und der Familie gegenüber außerhalb jeden Zweifels stand. Dasselbe galt überdies für seine Fähigkeiten als Geschäftsmann und Verwalter. Marco allerdings hatte an jenem Tag völlig die Fassung verloren. Diese Regelung war in seinen Augen nichts anderes als ein weiterer Beweis dafür, wie sehr sein Vater ihm und seinen Fähigkeiten letztlich misstraute und wie wenig er ihn verstand. Der heftige Streit, der danach folgte, war Maria bis zum heutigen Tag in lebhafter Erinnerung geblieben – verletzende Worte waren dabei von beiden Seiten gefallen. Worte, die sich nicht mehr zurücknehmen und ungeschehen machen ließen.
    Kerzengerade saß Maria di Lorenzo vor dem aus dunklem Holz kunstvoll gedrechselten Tisch, der in ihrem Zimmer stand. Sie strich sich eine verirrte Strähne ihres kastanienbraunen Haares aus dem Gesicht, die sich irgendwie aus ihrer Frisur gestohlen hatte, nahm mit der Rechten den Stift aus Blei und trug damit sorgfältig Zahlen in die vorgezeichneten Spalten ein. Hinter jeden dieser Beträge machte sie ein Zeichen, das für die jeweilige Münze stand – denn auf den Märkten und in den Häfen am Bosporus wurde in allen Währungen der Welt gezahlt.
    Das Sonnenlicht fiel in ihr feingeschnittenes Gesicht, und ihre blaugrauen Augen erinnerten an die Farbe des Meeres. Trotz ihrer zierlichen Figur wirkte sie keineswegs zerbrechlich, sondern sie strahlte eine innere Stärke aus, die wohl nur ein aufrichtiger Glaube verlieh. Die Zeit, da sie ein Büßergewand getragen hatte, war vorbei. Nichtsdestotrotz war ihre Kleidung schlicht geblieben. Schlichter, als es sonst unter den Kaufleuten Konstantinopels üblich war – besonders dann, wenn sie ihre Wurzeln in Italien hatten! Ihr erschien das in Anbetracht ihrer Trauer allerdings angemessen zu sein.
    Sie hielt inne, und ein leichter Zug von Wehmut trat in ihre Züge. Durch das Fenster, das mit echtem venezianischen Glas versehen war, leuchteten die letzten Strahlen der über dem Bosporus stehenden Abendsonne und tauchten den ganzen Raum in ein warmes rotgoldenes Licht.
    Das Gesicht ihres Vaters stand ihr plötzlich vor Augen, wie es so häufig geschah, wenn sie in Gedanken war, ein Gesicht, so bleich wie eine Totenmaske, die Augen von schwarzen Ringen umgeben und der Ausdruck so elend im Angesicht des sicheren Todes. So oft war der üble Hauch der Pest über Konstantinopel gekommen – mehr als zehnmal in den letzten hundert Jahren. Der schmale Meeresarm, den man das Goldene Horn nannte und der diese große und einstmals so ruhmreiche Stadt von Pera trennte, hatte Marias Eltern nicht davor bewahrt, von diesem bösen Hauch hinweggerafft zu werden, sodass sie und ihr Bruder Marco nun allein dastanden. »Du musst stark sein, Maria, und das Erbe unseres Handelshauses bewahren!«, hatte ihr Vater ihr auf dem Totenbett gesagt. »Wir schaffen Reichtum nicht um seiner selbst willen, sondern um Gutes damit zu bewirken und das Leben künftiger Träger unseres Namens zu sichern …«
    Wahrscheinlich war mein Vater der Einzige, der diesem Gedanken in aller Ernsthaftigkeit folgte!, dachte Maria nicht zum ersten Mal.
    Es klopfte an der Tür.
    »Herein!«, bat Maria.
    Davide Scrittore betrat im nächsten Moment den Raum. Eigentlich hätte er sich von ihr fernhalten müssen, doch die Geschäfte waren ihm wichtiger als das Verbot des Pestarztes. Er sah mit einem Blick, womit sie sich gerade beschäftigte, und nickte zufrieden. »Wie ich sehe, widmet Ihr Euch den Dingen, die für unser Geschäft wichtig

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